Darum ging es schon im letzten "Tatort"-Drehbuch von Wolfgang Stauch, "Du allein" (Stuttgart). Diesmal ist die Handlung sogar noch verzwickter. Der Titel "Der Tod der Anderen" ist natürlich eine Anspielung auf Florian Henkel von Donnersmarcks Stasi-Werk "Das Leben der Anderen" (2006), und auch Stauch erzählt in seinem ersten "Tatort" aus Köln eine Geschichte, die vor gut dreißig Jahren in der DDR begonnen hat.
Das können die Kommissare Ballauf und Schenk (Klaus J. Behrendt, Dietmar Bär) selbstredend nicht ahnen, als sie in ein Luxushotel gerufen werden: Kathrin Kampe (Eva Weißenborn) ist auf grausame Weise ums Leben gekommen. Der einzige Mensch, mit dem sie vor ihrem Tod mehr als bloß ein paar belanglose Worte gewechselt hat, ist Hotelbesitzerin Bettina Mai (Ulrike Krumbiegel). In der Tasche der Toten findet die Polizei einen Erpresserbrief an "Frau M.", datiert "IM Februar" – ein Tippfehler oder der Hinweis auf einen Status als inoffizielle Stasi-Mitarbeiterin? Aber wirkliche Beweise für Mais Schuld gibt es nicht; die Mordumstände sind ohnehin sehr rätselhaft. Und dann geht alles ganz schnell, erst für den ohnehin allzu bedächtigen Reviermitarbeiter Jütte (Roland Riebeling), dann für Hauptkommissar Schenk: Mai hat Jütte irgendwo eingesperrt und zwingt Schenk, ihr dabei zu helfen, Kampes Mörder zu finden.
Tilmann P. Gangloff, Diplom-Journalist und regelmäßiges Mitglied der Jury für den Grimme-Preis, schreibt freiberuflich unter anderem für das Portal evangelisch.de täglich TV-Tipps und setzt sich auch für "epd medien" mit dem Fernsehen auseinander. Auszeichnung: 2023 Bert-Donnepp-Preis - Deutscher Preis für Medienpublizistik (des Vereins der Freunde des Adolf-Grimme-Preises).
Neben diversen Überraschungen liegt der besondere Reiz des Films in der Idee, das Ermittlerduo getrennte Wege gehen zu lassen, was zur Folge hat, dass Ballauf im Büro einseitige Zwiegespräche mit den abwesenden Kollegen führt. Damit Max nicht ganz allein zu Haus ist, hatten Autor, Redaktion oder Produktion den ausgezeichneten Einfall, ihm Verstärkung zur Seite zu stellen, und es ist eine ausgesprochen gute Nachricht, dass Kriminaltechnikerin Förster fortan zum festen Ensemble gehören wird; es war ohnehin überfällig, dass die Kölner Männertruppe wieder weibliche Unterstützung bekommt. Tinka Fürst, in der Tragikomödie "Now or never" (2020) als unheilbar kranke Frau eine echte Entdeckung, holt eine ganze Menge aus dieser Nebenrolle, zumal Natalie Förster großen Spaß an Ballaufs halblegalem Auftrag hat: Mai hat Jüttes Laptop mitgenommen, damit Schenk unterwegs den Polizeiserver anzapfen kann. Damit hinterlässt er eine digitale Spur, was schließlich zu einer allerdings sehr moderat inszenierten Verfolgungsjagd im Sauerland führt; Regisseur Torsten C. Fischer setzt bei seiner Inszenierung ohnehin mehr auf die innere Spannung der Handlung.
Weil die Geschichte überwiegend aus der Perspektive Schenks erzählt wird, bleibt lange offen, ob die Hotelbesitzerin Täterin oder Opfer ist, zumal der Kommissar seine Entführerin zunehmend sympathisch findet. Für Ulrike Krumbiegel ist das eine sehr untypische, aber tolle Rolle, und das nicht allein wegen Mais trockenem Humor; dass die Frau mit der blonden Perücke keine gewöhnliche Hotelbesitzerin ist, beweisen unter anderem ihre Nahkampffähigkeiten, mit denen auch Schenk schmerzhaft Bekanntschaft macht. Mais schillernde Vergangenheit würde zwar durchaus einige Ansätze für einen Erpressungsversuch zu bieten, aber sie wäre viel zu klug, um die Erpresserin im eigenen Hotel zu ermorden. Offen ist außerdem die Frage, warum Kathrin Kampe am Abend ihres Todes zwei Männer ins Hotel geladen hat, die anscheinend ebenfalls Dreck am Stecken haben. Die beiden Personalien verleihen dem Fall eine zusätzliche Brisanz, denn der eine (Bernhard Schütz) ist drauf und dran, nächster Wirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen zu werden, und der andere (Rolf Kanies) hat kurz nach der "Wende" in Ostdeutschland ein Backimperium aufzogen; aber woher hatte er das Geld dafür?
Im Grunde ist die Geschichte fast zu groß für einen Reihenkrimi, weil Stauch, Schöpfer unter anderem der SWR-Krimis "Emma nach Mitternacht", den historischen Hintergrund kaum angemessen genug vertiefen kann. Trotzdem ist "Der Tod der Anderen" ein überdurchschnittlich guter "Tatort" aus Köln. Fischer ist ohnehin ein ausgezeichneter Krimiregisseur, seine Beiträge zu Reihen wie "Tatort" (zuletzt "Monster" aus Dortmund), "Spreewaldkrimi" oder "Polizeiruf 110" (zuletzt "Totes Rennen" aus Magdeburg) sind stets sehenswert; mit Behrendt und Bär hat er seit 2004 ("Minenspiel") diverse herausragende Krimis gedreht, allen voran "Der Fall Reinhardt" (2014) über einen Hausbrand, bei dem drei kleine Kinder gestorben sind. Für Spannung sorgt im achtzigsten Fall des Duos aus Köln nicht nur die Suche nach dem Täter: Während Schenk, längst von Mais Unschuld überzeugt, gemeinsam mit der Hotelbesitzerin ihre früheren Stasi-Kontakte abklappert, schaut der Film immer wieder nach Jütte. Der Oberkommissar ist zwar mit Vorräten für mehrere Tage versorgt, aber durch ein Missgeschick kommt ihm das Trinkwasser abhanden; auf diese Weise wird die Mördersuche zu einem Wettlauf mit dem Tod, was Mai und Schenk aber natürlich nicht ahnen können. Ähnlich bemerkenswert wie die Geschichte ist auch die Musik von Warner Poland und Wolfgang Glum, die sich deutlich von üblichen Krimikompositionen unterscheidet.