Der Weg in die Schatzkammer führt durch eine niedrige, mit Eisenbeschlägen verzierte Holztür. Dahinter liegt die Paramentenwerkstatt des Klosters St. Marienberg in Helmstedt. Ruhe herrscht hier. Nur die Bodendielen knarzen und die Nähmaschinen schnurren leise. In der Mitte vor einem mächtigen Webstuhl steht ein Tisch übersät von Lupen, Scheren, Nadelkissen. Hier werden die Stoffe aus Schurwolle, Seide und Leinen zugeschnitten. Schneiderpuppen mit Talaren säumen den Raum. Und wer die Vorhänge vor den Regalen anhebt, staunt angesichts der Farbenpracht, die sich dahinter verbirgt. Unzählige Garnrollen und naturgefärbte Wolle stapeln sich.
Die Paramentenwerkstatt im Kloster St. Marienberg ist eine von bundesweit sechs Einrichtungen, die sich auf das Anfertigen und die Restaurierung sogenannter Paramente spezialisiert haben - also auf Textilien für Liturgie und Kirchenraum. Ihre Wurzeln reichen bis in das 12. Jahrhundert zurück. 1862 sorgten die damalige Klostervorsteherin, Domina Charlotte von Veltheim, und Gräfin Anna von der Schulenburg dafür, dass die Paramentik in Helmstedt wiederbelebt wurde.
Zwölf Frauen bewahren die Kunst
Domina Mechtild von Veltheim trat in die Fußstapfen ihrer Ururgroßtante Charlotte. Sie steht dem Konvent am Kloster vor und ist für die Paramentik verantwortlich. Heute sind in der Werkstatt, in der auch ausgebildet wird, zwölf Mitarbeiterinnen tätig. Bis auf einen syrischen Flüchtling, der das Team als gelernter Schneider vorübergehend unterstützte, sind es bis heute stets Frauen, die sich um die Bewahrung dieser Kunst verdient machen. Von Beruf sind sie Designerinnen, Schneiderinnen, Restauratorinnen und Stickerinnen. Sie stellen Talare, Stolen, Alben, Tauf- und Totenkleider sowie kunstvolle Altarwäsche aus feinsten Materialien her.
Roswitha Karrer-Pollak stickt gerade an dem Saum einer Albe für einen katholischen Pfarrer. Hochkonzentriert blickt sie durch eine große, beleuchtete Lupe. Ihre Finger mit der Nadel und dem goldenen Lurexfaden huschen flink hin und her. Karrer-Pollak ist Gold-, Silber- und Perlenstickerin. Ein Beruf, den es heute kaum noch gibt. Erlernt hat sie ihn in Österreich. Vier bis fünf Stunden schafft sie es, am Stück zu arbeiten, dann lässt die Konzentration nach, die Augen schmerzen.
Eugenia Onistschenko ist die jüngste im Team. Die 33-Jährige hat ihren Abschluss an der Fakultät für Design an der Hochschule Hannover gemacht. Sie füllt das Credo des Klosters "Altes bewahren, Neues schaffen" mit Leben. Dazu gehöre Mut, neue Gestaltungselemente aufzunehmen. "Die Offenheit ist da", sagt sie und deutet auf ein üblicherweise weißes Kragenstück, Beffchen genannt, das in Regenbogenfarben strahlt. Ihre Aufgabe sieht die Designerin darin, in Gesprächen nachzuspüren, welche Vorstellungen die Gemeinden haben, wenn sie Paramente in Auftrag geben. "Es ist ein Zusammenspiel", sagt sie, "von Ideen, aktuellen Entwicklungen, Sehnsüchten, Religion, Historie".
Glutrot, Gold, Ähren, Anker, Schiffe: So sah Paramentik über Jahrhunderte aus. Für Mechtild von Veltheim sind diese Symbole der Ursprung der heutigen Kunst, nicht aber deren Endpunkt. "Unsere Aufgabe ist es, Tradition zu wahren, Neues zu schaffen und Visionen zu haben", betont sie. 2018 unterbreitete sie dem Bremer Künstler Michael Weisser ihre Idee, einen QR-Code als Parament zu gestalten. Der Entwurf wurde in St. Marienberg handwerklich umgesetzt und unter anderem im Braunschweiger Dom präsentiert.
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Nicht zuletzt diese Wachheit für das Zeitgeschehen führte dazu, dass die Frauen bereits im April in die Produktion von Mund-Nasen-Bedeckungen einstiegen, selbstverständlich auch in den liturgischen Farben des Kirchenjahres. "Es gab damals nicht ausreichend Masken. Da fühlten wir uns in der Verantwortung", sagt Damenschneiderin Heike Jaschniok. Sogar aus Norwegen kamen Anfragen.
Auch digitaler Technik gegenüber sind die Frauen im Kloster aufgeschlossen. Auf ihrer Wunschliste steht eine computergestützte Stickmaschine. 19 Stunden Handarbeit erledige diese in einer Minute, berichten sie. In ihrer Tradition sehen sie sich nicht bedroht. Im Gegenteil. Es gehe nicht um eine Konkurrenzsituation zwischen Maschinen- und Handarbeit, sagt Onistschenko, sondern um eine Ergänzung. "Damit wir weiter ausreichend Zeit für unser Handwerk haben."