Magdeburg (epd). Mit seinem Urteil ging das Oberlandesgericht Naumburg an die Grenze des Möglichen: Gut 14 Monate nach dem rechtsterroristischen Anschlag auf die Synagoge von Halle ist der Attentäter Stephan B. am Montag zu einer lebenslangen Haftstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Das Gericht verurteilte den 28-jährigen bekennenden Antisemiten unter anderem wegen Mordes in zwei Fällen und versuchten Mordes in mehr als 55 Fällen sowie wegen Körperverletzung, räuberischer Erpressung und Volksverhetzung. Es wurde die besondere Schwere der Schuld festgestellt. "Sie sind für die Menschheit gefährlich, und wenn sie ihre Grundhaltung nicht ändern, werden sie niemals mehr in Freiheit leben", sagte die Vorsitzende Richterin des Staatsschutzsenates, Ursula Mertens, in ihrer Urteilsbegründung.
Zuvor hatte Mertens dem Rechtsterroristen in ihren rund zweistündigen Ausführungen attestiert, dass es während der Tat bei ihm keine Hemmschwellen gab. Ihr fehlten die Worte, "das sachlich zu bewerten", wie es eigentlich ihre Aufgabe sei. Erstmals in ihrer Richterinnen-Tätigkeit habe sie beim Vortragen der Urteilsbegründung Mühe, die Fassung zu behalten.
Die Vorsitzende Richterin sprach von einer "abscheulichen, feigen und menschenverachtenden Tat". An 25 Verhandlungstagen habe man in menschliche Abgründe geschaut: "Dieses Verfahren stellt alles in den Schatten." B. habe aus niedrigsten Beweggründen, "auf allerniedrigster Stufe" und mit Heimtücke gehandelt, geprägt von Rassenhass und Antisemitismus. Sein Ziel sei gewesen, bei dem Anschlag am 9. Oktober 2019 möglichst viele Menschen zu töten.
An den Angeklagten gerichtet sagte Mertens: "Ihr Tatbild weicht von üblichen Mordfällen gravierend ab, deshalb kann ihre Schuld nicht nach 15 Jahren getilgt sein." B. sei ein fanatischer und ideologisch-motivierter Menschenfeind, vor dem die Gesellschaft geschützt werden müsse. Er sei ein Einzeltäter im Sinne des Strafgesetzbuches, der im Internet für seine kruden Verschwörungstheorien Verbündete gefunden habe und keinen "Anflug von Reue" zeige.
B. hatte am 9. Oktober 2019 versucht, in die Synagoge in Halle einzudringen, um dort ein Blutbad anzurichten. Zu dem Zeitpunkt hielten sich dort 51 Menschen auf, um den höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur zu feiern. Der Rechtsterrorist scheiterte an der Tür zum Gelände. Darüber frustriert tötete er die zufällig vorbeikommende 40-jährige Passantin Jana L. mit mehreren Gewehrsalven in den Rücken. Anschließend fuhr er zu einem Döner-Imbiss und erschoss dort den 20-jährigen Kevin S. Weitere Mordversuche scheiterten an einer klemmenden Maschinenpistole. Die Taten streamte der Rechtsterrorist live im Internet. Auf der Flucht vor der Polizei verletzte er weitere Menschen, darunter fünf Polizisten und ein Paar in einem Ort in der Nähe von Halle. Gefasst wurde er schließlich von zwei Polizisten, die sich dafür "kurzfristig in den Dienst versetzt hatten", wie es hieß.
Mit dem Urteil folgte das Oberlandesgericht den Forderungen von Bundesanwaltschaft und Nebenklägern. Der Pflichtverteidiger hatte für eine verminderte Schuldfähigkeit seines Mandanten plädiert und sich gegen eine Sicherungsverwahrung ausgesprochen. Die insgesamt 45 Nebenkläger wurden von 23 Anwälten vertreten. Aus Platzgründen war der Prozess ins Magdeburger Landgericht verlegt worden.
Politiker und Organisationen begrüßten das Urteil, es dürfe jedoch kein Schlussstrich unter die Aufarbeitung der Geschehnisse sein. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, das Urteil gebe Trost, "darf uns aber nicht ruhen lassen". Der Opferbeauftragte der Bundesregierung, Edgar Franke, hofft, dass die Betroffenen das Geschehene nun besser verarbeiten können. Der Richterspruch mache deutlich, "dass mörderischer Hass auf Juden auf keinerlei Toleranz trifft", erklärte der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) sieht in dem Urteil einen Beweis für die Wehrhaftigkeit des Rechtstaates.
Kritik kam von einigen Nebenklägern. Die Anwältin Kati Lang, die Überlebende aus der Synagoge vertrat, kritisierte ein "entpolitisiertes und blasses" Urteil. Die Nebenklägerin Naomi Henkel-Guembel sagte, es gebe keinen Grund für Behörden und liberale Gesellschaft, sich nach dem Prozess auf die Schultern zu klopfen. Gebraucht werde "Zivilcourage statt Selbstgefälligkeit".