Experten: Weihnachten in Pandemie kann zusätzlich auf Psyche drücken
Ein Weihnachtsfest, an dem wegen Corona viele liebgewonnene Rituale ausfallen müssen, kann laut Psychotherapeuten zur seelischen Belastungsprobe werden. Bisher kommen die Deutschen laut einer Umfrage psychisch am stabilsten durch die Pandemie.
10.12.2020
epd
epd-Gespräch: Michaela Hütig

Frankfurt a.M. (epd). Psychotherapeuten warnen vor zusätzlichen psychischen Belastungen zu Weihnachten in der Pandemie-Zeit. Wegen der Corona-Maßnahmen müssten die Menschen in diesem Jahr auf viele Traditionen und Rituale, die sonst Zugehörigkeit und gemeinsame Identität stifteten, in der gewohnten Form verzichten, sagte Amelie Thobaben von der Deutschen Psychotherapeuten-Vereinigung dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dabei sehnten sich viele gerade nach diesem Jahr mit seinen großen Unsicherheiten danach, einmal in Ruhe und mit vertrauten Ritualen Zeit miteinander zu verbringen. Besonders schwer macht der Verzicht nach Angaben der Bundespsychotherapeutenkammer älteren Menschen und Kindern zu schaffen. Insgesamt kommen die Deutschen aber laut einer Umfrage im internationalen Vergleich psychisch noch am besten durch die Corona-Krise.

Thobaben erklärte, die Pandemie sei ohnehin schon eine beispiellose Ausnahmesituation. Mit der extrem großen Unsicherheit umzugehen koste viel Kraft. Denn der Mensch arbeite immer mit einer Perspektive: "Wir haben eine Vorstellung davon, wie der nächste Tag abläuft und kalkulieren dabei kleine Schwankungen ein. Aber die großen Unwägbarkeiten sind wir nicht gewohnt."

Obendrein bleibe es nun auch zu den Feiertagen "offenbar spannend bis zur letzten Sekunde, wie wir jetzt mit dieser Weihnachtszeit umgehen werden oder dürfen", sagte die psychologische Psychotherapeutin und Bremer Landesvorsitzende der Vereinigung. Einer der wichtigsten Tipps sei daher, sich eine Perspektive zu verschaffen: "Wir raten zu einem Plan A unter den jetzigen Kontaktbeschränkungen und einen Plan B für einen härteren Lockdown." Dies sei besser, als der Frage auszuweichen, "denn ein Hin-und-Hergerissensein macht der Psyche zusätzlichen Stress".

Die Psychotherapeutenkammer erklärte, besonders belastend sei die Verunsicherung für ältere Menschen, die alleine oder in Einrichtungen leben. "Gerade über die Feiertage, die ja schon eine gewisse Tendenz zur Melancholie haben, schmerzt der Verzicht auf gewohnte Rituale diese Menschen sehr", sagte Präsident Ernst Dietrich Munz dem epd. Er plädierte dafür, "unbedingt im Rahmen des Möglichen Besuche zu erlauben, damit Angehörige gemeinsam Zeit verbringen können".

Kindern sei der Wegfall liebgewonnener Abläufe wie Besuche bei Verwandten ebenfalls schwer zu vermitteln, sagte der psychologische Psychotherapeut aus Stuttgart. Eltern sollten versuchen, ihren Kindern möglichst klar die Schwierigkeiten in diesem Jahr erläutern und andere Möglichkeiten für Treffen etwa über Zoom zu finden.

In einer Umfrage von YouGov sagten deutsche Befragte am seltensten (44 Prozent), dass das Coronavirus negative Auswirkungen auf ihre psychische Gesundheit habe, wie das Meinungsforschungsinstitut am Donnerstag in Köln mitteilte. Am häufigsten sagten dies Menschen in Großbritannien (65 Prozent), gefolgt von Hongkong (63 Prozent) und Italien (62 Prozent). Auch dass das Virus gar keine Auswirkungen auf die psychische Gesundheit habe, erklärten die Deutschen am häufigsten (45 Prozent). Befragte aus den Vereinigten Arabischen Emiraten machten diese Angabe am seltensten (23 Prozent), es folgten Indonesier und Chinesen mit jeweils 26 Prozent. Für die repräsentative Erhebung befragte YouGov mehr als 21.000 Menschen über 18 Jahren in 16 Ländern und Regionen.