Und er ging in ein Haus. Und da kam abermals das Volk zusammen, sodass sie nicht einmal essen konnten. Und als es die Seinen hörten, machten sie sich auf und wollten ihn ergreifen; denn sie sprachen: Er ist von Sinnen.
Und es kamen seine Mutter und seine Brüder und standen draußen, schickten zu ihm und ließen ihn rufen. Und das Volk saß um ihn. Und sie sprachen zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder und deine Schwestern draußen fragen nach dir. Und er antwortete ihnen und sprach: Wer ist meine Mutter und meine Brüder? Und er sah ringsum auf die, die um ihn im Kreise saßen, und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder! Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.
Markus 3,20-21;31-35 (Hier gelesen von Helge Heynold)
Liebe Menschen da drinnen,
haben Sie auch den Eindruck, dass in diesem Advent mehr Lichter in den Wohnungen angezündet werden? Nicht nur Kerzen auf Fensterbänken, auch Lichtschlangen an Balkonbrüstungen, Herrnhuter und andere Sterne. In unserer Straße glitzert und blinkt es derzeit, als ob die Nachbarschaft sich verabredet hätte, die Weihnachtsbeleuchtung der Innenstadt zu imitieren. Ich muss sagen, dass ich mir das gern anschaue. Es sieht fröhlich und anheimelnd aus. Lange Ausflüge in weihnachtlich beleuchtete Innenstädte sind gerade ohnehin nicht möglich, darum freue ich mich trotz des schlechten Gewissens, das mich beschleicht, wenn ich an den Energiebedarf für all die Lichter denke.
Die Sitte, Lichter ins Fenster zu stellen, gefällt mir schon deswegen, weil es bedeutet, nicht nur die eigene Wohnung zu dekorieren, sondern auch denen eine Freude zu machen, die von draußen darauf schauen. Was im Fenster leuchtet, leuchtet eben auch für andere. Auf diese Weise kann man ganz unspektakulär die Straße draußen zur guten Stube für alle machen. Kleine Lichter vergrößern die Wohnung sozusagen.
In unserer Geschichte für diese Woche vergrößert Jesus den Begriff der Familie auf sehr drastische Art. Seine Verwandten bekommen mit, dass Jesus in Verhältnissen lebt, die ihnen verrückt erscheinen. So viele Menschen drängen sich um ihn, dass sie nicht einmal mehr Platz haben zu essen. Man fragt sich ja manchmal, ob die Bibel Humor kennt. Ich finde diese Szene ausgesprochen amüsant, auch weil sie mit netten Stereotypen spielt. Ein junger Mann ist bei seiner Mutter ausgezogen. Er ist das älteste ihrer Kinder und anscheinend umgibt er sich mit Leuten, die seiner Mutter so gar nicht gefallen. Als sie dann noch hört, dass ihr Junge nichts Vernünftiges zu essen bekommt, reicht es ihr: „Der Junge ist übergeschnappt! Wir gehen und holen ihn zurück und zwar sofort!“ Ich sehe sie ihre anderen Kinder schnappen und mit wehendem Gewand losmarschieren, die Tasche voll mit Brot und getrockneten Früchten.
Doch als sie ankommen, erwartet sie kein ausgehungerter Jesus, sondern einer, der sich anscheinend ausgesprochen wohl fühlt inmitten der vielen Leute. Auf die Ankündigung „deine Mutter, Brüder und Schwestern sind draußen“ folgt lediglich die Bemerkung „Wieso, die sind doch schon hier!“. Wie so oft in der Bibel endet die Erzählung hier abrupt. Wir wissen also nicht, ob Jesus nach diesen Worten doch noch rausgegangen ist zu seinen Verwandten. Vielleicht ist Maria auch ausgesprochen ärgerlich geworden und sofort wieder gegangen. Angesichts der Adventszeit möchte man sich ja nicht gern ausmalen, dass es in der „Heiligen Familie“ zu solchen Szenen gekommen ist, aber überliefert sind sie nun einmal.
Ich möchte mir ausmalen, dass die Leute um Jesus herum einerseits etwas erschrocken geguckt haben, als Jesus diese Bemerkung machte. Sie mögen bitte so erschrocken geguckt haben, dass Jesus sagte: „Entschuldigt mich, ich bin gleich zurück.“ Dann ging er nach draußen und sagte zu seinen Verwandten. „Das hier ist gerade echt wichtig. Bleibt doch hier, wir reden nachher, okay? Schön, euch zu sehen. Oh, sind das Feigen?“ Andererseits wünsche ich mir, dass die Leute drinnen sich auch gefreut haben, von Jesus als Familie bezeichnet zu werden. Wenn man ein gemeinsames Ziel hat, gleiche Vorstellungen davon, wie etwas zu laufen hat, dann kommen tatsächlich familiäre Gefühle auf. Es ist kein Wunder, dass sich Christ:innen gegenseitig als Schwestern und Brüder anreden. Man gehört zusammen. Man streitet für etwas und miteinander. Man kümmert sich umeinander, man feiert gemeinsam.
In einer Zeit, in der die Verwandtschaftsbesuche schwierig oder gar unmöglich werden, ist es tröstlich, sich klarzumachen, dass die, mit denen man gerade zusammen ist, Familie sind. Die Pflegekräfte in den Krankenhäusern und Heimen, die Nachbarn, die Kolleg:innen, wer immer da ist, kann mir wichtig werden. Je mehr wir drinnen bleiben müssen, desto weiter sollten wir unsere Kreise ziehen. Unsere Straßen sind unsere gemeinsamen Wohnzimmer, die Leute um uns herum sind Familie, unsere Welt ist unsere Nachbarschaft.
Meine Wochenaufgabe: Machen Sie Ihre Straße schön, sei es mit einem zusätzlichen Licht auf der Fensterbank oder mit einem Strohstern, den Sie draußen an eine Laterne hängen. Schmücken Sie Ihre Straße so, dass andere sich mitfreuen können, als wären Sie bei Ihnen selbst zu Gast! Machen Sie auch die Augen auf! Vielleicht entdecken Sie ja Orte, die andere für Sie schön gemacht haben.
Gott begleite Sie weiter, liebe Geschwister!
Ihr Frank Muchlinsky