Forscherin plädiert für harten Lockdown über zwei Wochen
02.12.2020
epd
epd-Gespräch: Martina Schwager

Göttingen (epd). Die Göttinger Physikerin Viola Priesemann sieht kaum noch Chancen für einen durchschlagenden Erfolg der derzeit geltenden Kontaktbeschränkungen bis Weihnachten. "Der sogenannte Lockdown light war einen Versuch wert, aber das hat nicht gereicht", sagte Priesemann im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Er habe zwar immerhin dafür gesorgt, dass die Zahl der Neuinfektionen sich auf hohem Niveau stabilisiert habe. "Aber nur mit einem konsequenten zwei- oder dreiwöchigen Lockdown lassen sich die Fallzahlen entscheidend senken."

Vor allem bei den Schulen und in der Arbeitswelt sieht Priesemann noch Potenzial für Beschränkungen. Dort, wo es möglich sei, sollten Menschen konsequent aus dem Homeoffice arbeiten. Zusätzlich sollten zumindest ältere Schülerinnen und Schüler auf Homeschooling ausweichen. Auch im Einzelhandel, bei privaten Kontakten und etwa in der Erwachsenenbildung seien weitere Beschränkungen möglich, betonte die Forschungsgruppenleiterin am Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen. "Wir müssen an allen Schrauben ein Stück weiter drehen."

Ziel müsse es sein, auf einen Sieben-Tage-Inzidenzwert von 50 oder weniger pro 100.000 Einwohner zu kommen. Wenn die Fallzahlen gesenkt werden sollten, müsste dieses Ziel klar kommuniziert werden, damit die Bürger die harten Maßnahmen akzeptierten, forderte Priesemann, die mit ihrem Team Modellrechnungen für Verläufe der Corona-Pandemie anstellt.

Nach etwa zwei bis drei Wochen hätten die Gesundheitsämter in den meisten Landkreisen das Infektionsgeschehen wieder unter Kontrolle, könnten Kontakte von Infizierten nachverfolgen und testen. "Dann könnten die Beschränkungen deutlich gelockert werden." Die Wissenschaftlerin verwies auf Australien, Irland und Israel sowie viele asiatische Länder. Sie hätten nach harten Kontaktbeschränkungen die Pandemie mittlerweile im Griff. Das gesellschaftliche Leben habe sich dort fast normalisiert.

Nach Priesemanns Berechnungen ist es in Deutschland unter den Bedingungen des sogenannten Lockdown light nicht sinnvoll, die bisherigen Beschränkungen etwa in der Kultur, bei Hotels und Gaststätten so aufrechtzuerhalten. "Diese Maßnahmen verpuffen. Das ist jetzt eine Frage von ganz oder gar nicht. Wenn wir die Schraube nicht konsequent anziehen, werden die Fallzahlen wahrscheinlich nicht sinken. Dann muss man sich fragen, wie lange man die derzeitigen Einschränkungen beibehalten will."