Experte: Corona verstärkt Existenznot von Aids-Waisen in Kenia
30.11.2020
epd
epd-Gespräch: Natalia Matter

Frankfurt a.M., Nairobi (epd). Die Corona-Pandemie hat die Existenznot von Aids-Waisen in Kenia laut "Ärzte ohne Grenzen" massiv verschärft. "Besonders Kinder und Jugendliche, die sich um ihre Geschwister kümmern, müssen manchmal entscheiden, ob sie Essen besorgen oder Medikamente", sagte der medizinische Koordinator der Organisation in Kenia, Mohammed Musoke, dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Das ist für jeden eine fürchterliche Entscheidung und noch viel mehr für einen Teenager."

Zwar kosteten die HIV-Medikamente nichts, aber durch den Lockdown sei alles teurer geworden, wie auch die Fahrtkosten, um die Mittel zu holen. Zudem hätten viele Menschen ihr Einkommen verloren, so dass die Kinder weniger von Angehörigen unterstützt würden.

"Es sind Teenager, die die Verantwortung für den Haushalt übernehmen", erläuterte Musoke. Einige von ihnen seien selbst HIV-positiv oder ihre Geschwister, die Eltern und andere nahe Angehörige an Aids gestorben oder erkrankt. "In manchen Fällen haben die Kinder noch ein Elternteil oder einen engen Angehörigen, die jedoch, um Arbeit zu finden, wegen Corona weiter weg müssen."

Obwohl die Zahl der Todesfälle durch Aids in Kenia von 2007 bis 2017 um 50 Prozent zurückgegangen ist, ist es immer noch die häufigste Todesursache in dem ostafrikanischen Land. Laut offiziellen Schätzungen waren 2018 etwa 4,9 Prozent der Bevölkerung mit dem HI-Virus infiziert, 6,6 Prozent Frauen, 3,1 Prozent Männer und 0,7 Prozent Kinder. Am höchsten ist die Infektionsrate im Westen des Landes, vor allem im Bezirk Homa Bay County mit knapp 20 Prozent, wo "Ärzte ohne Grenzen" das größte HIV-Programm hat.

Durch die Corona-Pandemie sei es schwieriger, mit den Patienten in Kontakt zu bleiben, sagte Musoke. "Wir brauchen eine gut funktionierende Kette von Gesundheitszentren über Kontaktpersonen in den Dörfern und Vierteln bis zu den HIV-Infizierten." Gerade bei alleinverantwortlichen Kindern sei das besonders wichtig und aufwendig. "Vor Corona kamen Kinder und Jugendliche regelmäßig zu unseren Programmen, wo sie medizinisch und psychologisch betreut und mit dem Notwendigsten versorgt wurden". Diese Veranstaltungen hätten jedoch ausgesetzt werden müssen und würden teilweise durch Treffen in kleinen Gruppen ersetzt. "Aber die Qualität unseres Angebots leidet darunter."

Auch die Schulschließungen seit März hätten die Lage der Aids-Waisen deutlich verschlechtert. "In der Schule erhalten Kinder nicht nur Bildung und eine Struktur, sondern auch zwei Mahlzeiten am Tag", betonte Musoke. Jetzt müssten die meist weiblichen Jugendlichen, die sich um ihre Geschwister kümmern, zwei Mahlzeiten mehr auf den Tisch bringen, für Beschäftigung sorgen, die HIV-Medikamente besorgen und sicherstellen, dass alle sie regelmäßig nehmen.

"Ärzte ohne Grenzen" versuche, für solche Familien Bezugspersonen zu finden, die regelmäßig nach dem Rechten schauten und erreichbar seien, erläuterte Musoke. Aber auch das sei schwieriger geworden. "Wir haben Sorge, dass durch die Pandemie die Fortschritte, die wir bei der Aids-Bekämpfung gemacht haben, zunichtegemacht werden."