Berlin (epd). Judenhass ist in der Corona-Pandemie nach Worten des Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung, Felix Klein, in vielen Kreisen wieder gesellschaftsfähig geworden. Er verbinde nun politische Milieus, die früher wenig oder gar keine Berührungspunkte hatten, sagte er am Dienstag in Berlin. Das Hauptvehikel seien dabei Verschwörungserzählungen über angeblich geheime Mächte. Diese Mythen wirkten als Verbindungsglied zwischen der gesellschaftlichen Mitte und radikalisierten Rändern. Mit Blick auf die Proteste von Corona-Leugnern betonte Klein: "Das Spektrum reicht von Esoterikbegeisterten über Heilpraktiker und Friedensbewegte bis hin zu Reichsbürgern und offen Rechtsextremen, die diese Demonstrationen als Mobilisierungsforum nutzen."
Scharf kritisierte er jüngste Äußerungen von Corona-Leugnerinnen, die sich mit Nazi-Opfern verglichen haben. "Das Selbstbild als verfolgtes Opfer ist und war immer ein zentrales Element antisemitischer Einstellungen." Denn wer sich als Opfer fühle, gebe automatisch die Verantwortung ab und anderen die Macht.
Am Samstag hatte eine junge Frau, die sich als "Jana aus Kassel" vorstellte, auf einer Bühne der "Querdenken"-Bewegung in Hannover gesagt: "Ich fühle mich wie Sophie Scholl, da ich seit Monaten aktiv im Widerstand bin." Sophie Scholl und ihr Bruder Hans Scholl gehörten zur Widerstandsgruppe "Weiße Rose". Sie wurden 1943 hingerichtet. Eine Woche zuvor hatte eine Elfjährige auf einer "Querdenken"-Bühne in Karlsruhe die Tatsache, dass sie ihren Geburtstag nicht wie gewohnt feiern konnte, in Beziehung gesetzt zum Schicksal von Anne Frank, die sich in einem Hinterhaus in Amsterdam vor den Nationalsozialisten versteckte hatte und später im Konzentrationslager Bergen-Belsen ums Leben kam.
Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, sagte, dass der offene direkte Antisemitismus - der nicht mehr beispielsweise als Israelkritik getarnt sei - wieder ausbreche. Verschwörungsideologien hätten immer ein antisemitisches Betriebssystem, sagte sie, weil Antisemitismus die Idee vom bösen Juden sei, den man beschuldigen könne für alles was schiefgehe.
Kahane wies zugleich darauf hin, dass Deutschland "Spitzenreiter" bei dieser irrationalen Art der Proteste gegen die Corona-Maßnahmen sei. In anderen Ländern gebe es sie in dieser Form nicht. Es müsse mehr Programme geben, die sich gezielt gegen Verschwörungsideologien richteten, die Polizei müsse entsprechend geschult und der Schutz jüdischer Einrichtungen müsse verbessert werden, forderte sie. Die Stiftung engagiert sich seit mehr als 20 Jahren gegen Rechtsextremismus.