Frankfurt a.M. (epd). Eine Minderheit von evangelikalen Christen ist nach Einschätzung des evangelischen Theologen Michael Diener ansprechbar für die Querdenker-Bewegung. Diese Gruppe von Menschen mit einem evangelikalen Glaubensprofil sei "klein, aber doch sichtbar", sagte Diener am Donnerstag dem Evangelischen Pressedienst (epd). Am Mittwoch hatte die Berliner Polizei eine Demonstration gegen das Infektionsschutzgesetz, die von den Querdenkern angemeldet worden war, aufgelöst, weil die Demonstranten gegen die Hygieneregeln verstoßen hatten. Unter den Demonstranten waren auch Christen aus dem evangelikalen Spektrum. Auch bei anderen Demonstrationen waren christliche Teilnehmer vertreten.
Als Grund nannte Diener, dass sich diese Gruppe bedingt durch die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen nicht mehr durch die momentane Regierung repräsentiert sehe. "Das hat mit den üblichen Reizthemen wie Abtreibung, Ehe für alle, der Israelpolitik, der Zuwanderung von Muslimen im Zuge der Flüchtlingswelle und mit der Politik der offenen Grenzen statt kultureller Integrität zu tun." Es gehe aber auch mit einer Elitenkritik einher, weil sich diese Personen als Verlierer dieses Wandels wahrnähmen. "Und wer sich nicht mehr vertreten weiß, ist schon aus Prinzip gegen Änderungen und Einschränkungen", sagte Diener, der im September als Präses des Gnadauer Gemeinschaftsverbands verabschiedet worden war.
Aus theologischer Perspektive gebe es außerdem unter manchen der Demonstranten eine Auslegung, die Jesu Warnung vor den Zeichen der Zeit aufgreife und demokratische Einschränkungen als Beginn einer antichristlichen Welteinheitsregierung deute, sagte Diener. "Beide Stränge verbinden sich unheilvoll." Gegenargumentationen würden diese Menschen aber oft nicht erreichen, weil die bekannten "Gesinnungsblasen" echte Kommunikation erschweren würden.
Diener ist auch Mitglied im Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und war von 2012 bis 2016 Vorsitzender der Deutschen Evangelischen Allianz, die als Netzwerk der evangelikalen Bewegung in den evangelischen Landeskirchen, Freikirchen, Gemeinschaften und freien Werken fungiert. Die Evangelische Allianz hatte sich in einem Brief an ihre Mitglieder gewandt und davor gewarnt, das Infektionsschutzgesetz mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933 zu vergleichen.