Experte: Deradikalisierung in Gefängnissen funktioniert gut
13.11.2020
epd
epd-Gespräch: Martina Schwager

Hannover, Berlin (epd). Der Extremismus-Experte Thomas Mücke hat warnt davor, nach den jüngsten mutmaßlich islamistischen Anschlägen die Deradikalisierungsarbeit in Justizvollzugsanstalten infrage zu stellen. In den vergangenen fünf Jahren sei in puncto Prävention und Deradikalisierung in den Gefängnissen sehr viel aufgebaut worden, sagte Mücke dem Evangelischen Pressedienst (epd). Mittlerweile seien Haftanstalten nicht mehr Orte der Radikalisierung. Vollzugsbeamte und das weitere Personal seien sensibilisiert. Dennoch bleibe ein Restrisiko, dass ehemalige Dschihadisten trotz jahrelanger Arbeit rückfällig würden oder nur vortäuschten, dass sie sich von dieser Ideologie losgesagt hätten. "Wir können nicht jedes Feuer löschen, aber wir können dafür sorgen, dass es keinen Flächenbrand gibt."

Manchmal seien es auch äußere Umstände wie die Corona-Pandemie, die die Arbeit behinderten, sagte der Geschäftsführer von "Violence Prevention Network" (Gewalt-Präventionsnetzwerk). So habe beim Täter Abdullah al-H. H., der in Dresden kurz nach seiner Entlassung aus dem Strafvollzug ein homosexuelles Paar aus Nordrhein-Westfalen mit Küchenmessern angegriffen und schwer verletzt hatte, der Beginn der Deradikalisierungsarbeit aufgrund der Pandemie um drei Monate verschoben werden müssen. In der Folge seiner Tat am 4. Oktober starb später eines der Opfer.

Etwa 65 Fachkräfte der in Berlin ansässigen gemeinnützigen Gesellschaft arbeiten mit ideologisch gefährdeten Menschen und extremistisch motivierten Gewalttätern. Das Netzwerk unterhält Beratungsstellen in mehreren Bundesländern. Die Experten arbeiten zudem in Niedersachsen und weiteren Ländern im Strafvollzug. Sie bieten Gruppentrainings zur Prävention, Einzeltrainings für hochradikalisierte Straftäter und Fortbildungen für das Personal an.

Deradikalisierungsarbeit dauere oft zwei bis drei Jahre und sei sehr personalintensiv, betonte Mücke. In der Regel kümmerten sich zwei Mitarbeiter in Einzelgesprächen um einen Straftäter. Zu Beginn könne diese Begleitung 15 bis 20 Stunden pro Woche in Anspruch nehmen. Wichtig sei es, zunächst ein Vertrauensverhältnis zu dem Inhaftierten aufzubauen: "Wenn ich gleich gegen seine Ideologie argumentiere, verändere ich nichts."

Ziel sei es zuallererst, eine Fremd- und Selbstgefährdung zu verhindern, erläuterte der Pädagoge, Politologe und Antigewalt-Trainer. Wichtig sei außerdem die biografische Arbeit, die den Gründen für die Radikalisierung nachgehe. Die Therapeuten und Pädagogen müssten Zweifel an der Ideologie säen und das eigenständige, verantwortliche Denken fördern. "Wir müssen den Radikalisierten aus der extremistischen Echokammer herausholen und die Entfremdung von Familie und sozialen Kontakten rückgängig machen."