Bonn (epd). Die wegen Corona verhängten Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen in Pflegeheimen verstoßen einem Gutachten zufolge in weiten Teilen gegen das Grundgesetz. "Gutachter Friedhelm Hufen hat begründete Zweifel daran, dass das Infektionsschutzgesetz eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage für die gravierenden Eingriffe in die Grundrechte von Menschen in Pflegeeinrichtungen darstellt", teilte die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO) am Mittwoch in Bonn mit.
Die BAGSO forderte mit Blick auf die Ergebnisse der Studie Politik, Behörden sowie Heimleitungen auf, die Grundrechte der Betroffenen zu wahren. Sie tue das mit "besonderer Dringlichkeit, weil vielerorts Pflegeeinrichtungen Besuchs- und Ausgangsbeschränkungen angesichts gestiegener Infektionszahlen wieder verschärfen".
Dem Gutachten zufolge müssten die negativen Auswirkungen der Maßnahmen auf die Gesundheit der Heiminsassen bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung viel stärker in den Blick genommen werden. Eine niemals zu rechtfertigende Verletzung der Menschenwürde liege in jedem Fall vor, wenn Menschen aufgrund von Besuchsverboten einsam sterben müssten, hieß es.
Die Organisation rief dazu auf, die Ermessens- und Beurteilungsspielräume für Behörden, Heimträger und Heimleitungen deutlich stärker zu beschränken als das bislang der Fall ist. "Andere Heimbewohner müssen regelmäßig und in angemessener Form Besuch erhalten können - notfalls hinter Plexiglas."
Die BAGSO appellierte an Gesundheitsministerien, Heimaufsichten, Gesundheits- und Ordnungsämter, die betroffenen Menschen vor unverhältnismäßigen Eingriffen in ihre Grundrechte zu schützen. Von Heimleitungen verlangte die Organisation, dass sie nur Einschränkungen anordnen, für die es eine eindeutige Rechtsgrundlage gibt. Außerdem müssten sie die Spielräume der aktuellen Verordnungen im Sinne der Betroffenen ausschöpfen. "Hygienepläne müssen darauf ausgerichtet sein, Besuche in Sicherheit zu ermöglichen, nicht sie zu verhindern."
Auch die Corona-Verordnungen der Länder müssten konkretere Vorgaben machen, so der Mainzer Verfassungsrechtler Hufen, der auch dem Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz angehörte. Sofern diese Verordnungen tägliche Besuchsmöglichkeiten vorsähen, sei das für die Heimleitungen verbindlich.