Kirchenjurist kritisiert Kopftuchverbot
02.11.2020
epd
epd-Gespräch: Lukas Philippi

Berlin (epd). Der Kirchenjurist Jörg Antoine sieht in der Haltung des Berliner Senats zum muslimischen Kopftuch im öffentlichen Dienst eine tiefer liegende Distanz gegenüber Religionen. Religiöse Neutralität im staatlichen Bereich werde in Berlin im Osten wie im Westen traditionell großgeschrieben, sagte der Konsistorialpräsident dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dabei habe das Grundgesetz "vielmehr ein Modell der Kooperation zwischen Staat und Religionsgesellschaften vor Augen". Dies werde in Berlin zu wenig beachtet, sagte Antoine mit Blick auf das Neutralitätsgesetz, dass unter anderem das Tragen religiöser Symbole im öffentlichen Dienst weitgehend verbietet. Antoine ist Chefjurist der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.

"Zum Teil stoße ich hier in Berlin auf eine historisch begründete Ablehnung gegenüber Religionsgemeinschaften", betonte Antoine. In Fragen des Kopftuchs kämen seiner Beobachtung nach "noch Ängste vor einem politischen Islam hinzu". Dabei verwies Antoine auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2015, wonach religiöse Symbole auch bei Lehrerinnen im Schuldienst zulässig sind, wenn es keine konkrete Gefahr für den Schulfrieden gibt: "Entscheidend ist, was die Lehrerinnen im Kopf haben und nicht, was sie auf dem Kopf tragen."

Auch für den Polizei- und Vollzugsdienst könne er sich "diese Richtung gut vorstellen", sagte Antoine, ebenso im Referendariat der Juristenausbildung: "Wenn wir mehr Gelassenheit im Umgang mit religiösen Symbolen entwickelt haben, dann halte ich diese liberale Haltung sogar für den Richterdienst in unserer pluralen Gesellschaft für möglich." Er fügte hinzu: "In einer liberalen Grundrechtsordnung müssen wir um der Freiheit der Menschen willen vieles erlauben und ertragen, was nicht unserer Auffassung entspricht; sogar das, was wir nicht vernünftig und vielleicht sogar schädlich finden."

Nach dem Kopftuch-Urteil des Bundesarbeitsgerichts zum Berliner Neutralitätsgesetz Ende August ist in der Berliner Regierungskoalition die Forderung nach einer Novellierung des Neutralitätsgesetzes wieder lauter geworden. Das Erfurter Gericht entschied in einer Revisionsverhandlung, dass das Land Berlin einer muslimischen Bewerberin für eine Lehrerinnenstelle nicht pauschal das Tragen eines Kopftuchs verbieten darf. Das im Neutralitätsgesetz enthaltene pauschale Verbot des Tragens religiöser oder anderer weltanschaulicher Symbole im Schulunterricht stelle eine nicht hinzunehmende Diskriminierung wegen der Religion dar, urteilten die Richter (AZ: 8 AZR 62/19).