US-Soziologe warnt vor nationalistischen Tendenzen bei Evangelikalen
29.10.2020
epd
epd-Gespräch: Christine Süß-Demuth

Freiburg, New Haven (epd). Der Religionssoziologe Philip Gorski hat vor zunehmend nationalistischen Tendenzen bei den Evangelikalen in den USA gewarnt. "Der weiße christliche Nationalismus muss absolut ernst genommen werden", sagte Gorski, der an der Yale Universität Soziologie lehrt, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Noch vor fünf Jahren sei Nationalismus nur als etwas Säkulares betrachtet worden und nicht mit Religion in Verbindung gebracht worden.

Dieses Phänomen werde nun genau von Politik und Gesellschaft beobachtet, sagte Gorski, dessen Buch "Am Scheideweg. Amerikas Christen vor und nach Trump" im Herder-Verlag in Freiburg erschienen ist. Manche konservativen Christen fühlten sich zu autoritären Politikern hingezogen, weil sie ihren Lebensstil und ihre religiösen Freiheitsrechte bedroht sähen: "In Trumps Amerika hat der Evangelikalismus zu einer Art Autoritarismus geführt."

Eine weitere Verschärfung dieser Entwicklung hin zum Rechtsradikalismus sei durchaus möglich, befürchtet der US-amerikanische Soziologe: "Einige Evangelikale sind Anhänger der rechten QAnon-Bewegung." Außerdem gebe es Verbindungen zu bewaffneten Bürgerwehren, den sogenannten Milizen. Auch US-Präsident Donald Trump spiele in seinen Reden immer wieder auf die Verschwörungsmythen der QAnon-Bewegung und die Milizen an und habe sie damit "ermächtigt".

Trump selbst stelle sich immer wieder als Verteidiger des traditionellen Christentums dar. Die Versprechen gegenüber dieser Wählergruppe habe er etwa auch dadurch eingehalten, dass er mit der Katholikin Amy Coney Barrett eine weitere konservative Richterin an den obersten Gerichtshof ernannte. Die nun konservative Mehrheit des Supreme Court könnte das seit 1973 geltende Abtreibungsrecht widerrufen, sagte der Wissenschaftler.

Tatsächlich seien für die Evangelikalen politische Fragen wie der Kampf gegen Abtreibung oder Eheschließungen von homosexuellen Paaren viel wichtiger als etwa der unsittliche Lebenswandel Trumps. Trotzdem sei er immer wieder überrascht, dass sie einen Mann unterstützten, der gegen Muslime und Einwanderer hetze, abfällig über Frauen spreche und dessen Lebenswandel eigentlich den christlichen Werte widerspreche, sagte Gorski.

"Geschickt und ganz bewusst inszeniert sich Trump, indem er etwa evangelikale Christen um sich versammelt und für sich beten lässt", so der Soziologe. Dazu gehöre auch, dass er sich mit der Bibel in der Hand vor einer Kirche postierte oder katholische Nonnen bei einer Wahlkampfveranstaltung in der ersten Reihe stehen ließ. Solche Bilder seien für seine Wähler sehr wichtig. Daher könnte es diesmal durchaus ähnlich wie 2016 sein, als 80 Prozent der weißen Evangelikalen für Donald Trump gestimmt hatten.