Herr Oberkirchenrat Keller, ein 60-seitiges Gesprächspapier zum Thema "Christen und Muslime" hat Kontroversen in der Landeskirche ausgelöst, warum?
Urs Keller: In unserer Landeskirche herrscht Einhelligkeit darüber, dass wir in Gemeinden und Kirchenbezirken den Dialog mit den Muslimen und den Moscheegemeinden in unserer Nachbarschaft führen wollen. Mit welchen Optionen und in welcher theologischen Ausrichtung das geschehen soll, darüber gibt es unterschiedliche und kontroverse Meinungen.
Das Gesprächspapier hat hier einen Vorstoß gewagt und gesagt: Wir lernen aus den bisherigen Erfahrungen, vor allem aus dem jüdisch-christlichen Gespräch und begeben uns christlicherseits auf die Suche nach Gemeinsamkeiten, ohne die Unterschiede zum Islam und zum Glauben muslimischer Menschen abzublenden.
Offensichtlich sehen das manche Mitglieder unserer Kirche anders, die sich stärker die Benennung von theologischen Unterschieden wünschen. Dabei darf man nicht vergessen: Zu Wort gemeldet haben sich vor allem diejenigen, die mit der Tendenz des Gesprächspapiers nicht einverstanden waren.
Warum soll das Gespräch und die Begegnung zwischen Christentum und Islam intensiviert werden?
Keller: Wir leben in einer Vielfaltsgesellschaft, in der die Muslime die größte religiöse Minderheit darstellen - nach den Christen und den Menschen, die keiner Konfession angehören. Viele Muslime leben schon lange hier und sind deutsche Staatsbürger. In der Arbeitswelt, in der Schule, in der Freizeit, im Verein, sind Begegnungen und das Miteinander etwas Alltägliches.
Dabei bagatellisieren wir Spannungen und Konflikte, die Probleme von Parallelwelten, die es in Teilen eben auch gibt, nicht. Für ein gedeihliches Zusammenleben in unseren Kommunen brauchen wir eine gute Nachbarschaft zu muslimischen Menschen und Moscheegemeinden - wir müssen uns gegenseitig kennenlernen, Vorurteile und Missverständnisse abbauen.
Die gesellschaftlichen Debatten der letzten Jahre haben leider Islam vor allem als Islamismus ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Hier können wir mit dem christlich-islamischen Gespräch einen wichtigen Beitrag zur Verständigung in unserer polarisierten Gesellschaft leisten. Wo in unseren Kommunen christliche Kirchen mit muslimischen Organisationen gute Beziehungen pflegen, lassen sich auch Alltagsfragen wie die Verpflegung in Kitas und Schulen besser lösen.
"Wir müssen den Dialog nicht neu erfinden, sondern konkrete Schritte machen"
Wie kann der Dialog gelingen?
Keller: Der christlich-muslimische Dialog gelingt erfahrungsgemäß da, wo Menschen, die in ihrer Religion zu Hause sind, wertschätzend und angstfrei Kontakte suchen; wo man Vertrauen aufbaut, indem man sich informiert, sich kennenlernt, klare Verabredungen trifft. Wir müssen den Dialog nicht neu erfinden, sondern konkrete Schritte machen. Wir haben eine klare rechtliche Grundlage, die für alle Beteiligten selbstverständlich gilt. Da sollten weder die christlichen Kirchen auf überkommenen Privilegien bestehen noch auf muslimischer Seite eine Opferhaltung gepflegt werden.
In der Erklärung heißt es, Christen begegnen Muslimen mit Respekt, Wertschätzung und Nächstenliebe. Sollte das nicht selbstverständlich sein?
Keller: Die Entwicklungen der letzten Monate zeigen, dass bei wachsender Unsicherheit auch Selbstverständlichkeiten neu ins Bewusstsein gerufen werden müssen. Die Rückmeldungen auf das Gesprächspapier haben deutlich gemacht, dass das Bedürfnis groß ist, die eigenen christlichen Grundlagen zu bekräftigen.
Unsere Basis für die Begegnungen und das Zusammenleben mit Menschen aller Religionen oder auch ohne Religionszugehörigkeit ist die biblische Aussage, dass alle Menschen nach dem Bild Gottes geschaffen sind. Äußerungen, die Wertschätzung und Respekt vermissen lassen, erschweren das Gespräch und sind Gift für den gesellschaftlichen Frieden.
Wie lassen sich Unterschiede im Glauben respektvoll ansprechen?
Keller: Wo man sein Gegenüber kennt, wo Wertschätzung und Respekt im Ton und im Umgang herrschen, kann man in der Sache fair streiten. Den anderen verstehen, heißt ja nicht schon, der gleichen Meinung zu sein. Eine Instrumentalisierung von Glaubensgesprächen oder theologischen Dialogen, ganz gleich von welcher Seite, unterlaufen den Respekt vor der Glaubensfreiheit des Gegenübers.
Wie können Christen unterstützt werden, die in Ehe und Familie mit Muslimen zusammenleben?
Keller: Indem wir in unserer Kirche und in unseren Gemeinden christlich-muslimische Ehen ohne Vorbehalte akzeptieren. Wo wir christlich-muslimisch insgesamt gut im Gespräch sind, wird auch die Ehe eines christlich-muslimischen Paares in der Gemeinde mit mehr Offenheit wahrgenommen werden.
So kann man unbefangener Herausforderung angehen, die im Zusammenhang von Eheschließung und kirchlicher Trauung, Gestaltung des Ehe- und Familienalltag auftauchen. Da liegen kulturelle und religiöse Unterschiede oft eng beieinander und haben zugleich eine hohe gefühlsmäßige Bedeutung.