Papst fordert radikale Wende als Antwort auf Corona-Krise

Rom, Assisi (epd). Papst Franziskus fordert eine radikale wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Wende als Antwort auf die Corona-Krise. Die Pandemie habe die Unfähigkeit zum gemeinsamen Handeln offenbart, schreibt er in seiner am Sonntag im Vatikan veröffentlichten neuen Enzyklika. "Trotz aller Vernetzung ist eine Zersplitterung eingetreten, die es erheblich erschwert hat, die Probleme, die alle betreffen, zu lösen", betont das katholische Kirchenoberhaupt in dem rund 80-seitigen Lehrschreiben "Fratelli tutti" (Alle Brüder).

Die "schlimmste Reaktion" auf die derzeitige Gesundheitskrise wäre, "noch mehr in einen fieberhaften Konsumismus und in neue Formen der egoistischen Selbsterhaltung zu verfallen", schreibt der Papst in seiner dritten Enzyklika. Darin äußert er die Hoffnung, dass die Pandemie nicht ein weiteres schwerwiegende Ereignis der Geschichte sein wird, aus dem die Menschheit nicht gelernt haben wird. "Dass wir nicht die älteren Menschen vergessen, die gestorben sind, weil es keine Beatmungsgeräte gab, teilweise als Folge der von Jahr zu Jahr abgebauten Gesundheitssysteme". Aus dem "Rette sich wer kann" werde rasch ein "Alle gegen alle", und das werde schlimmer als eine Pandemie sein.

In der Enzyklika mit dem Untertitel "Über die Geschwisterlichkeit und die soziale Freundschaft" beklagt Franziskus Rückschritte bei der Verhinderung bewaffneter Konflikte und vielfältige Formen von Ausgrenzung. Die Globalisierung tendiere in ihrer derzeitigen Form, wirtschaftlich starke Länder zu fördern und schwächere in ihrer Entwicklung zu behindern und abhängig zu machen. Grundlegende Begriffe wie Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit würden sinnentleert und manipuliert, um sie als "Herrschaftsinstrumente" zu nutzen.

"Teile der Menschheit scheinen geopfert werden zu können zugunsten einer bevorzugten Bevölkerungsgruppe, die für würdig gehalten wird, ein Leben ohne Einschränkungen zu führen", stellt Franziskus in seinem Lehrschreiben fest. Darin kritisiert er ein "Wirtschaftsmodell, das auf dem Profit gründet und nicht davor zurückscheut, den Menschen auszubeuten, wegzuwerfen und sogar zu töten".

Angesichts der wachsenden internationalen Spannungen und der Flüchtlingsströme dringt der Papst in seiner Enzyklika auf eine Reform der Vereinten Nationen und eine "umfassende Gesetzgebung für Migration". In seinen Forderungen nach einer solidarischeren Weltordnung ließ er sich nach eigenem Bekunden nicht nur von dem Ordensgründer Franz von Assisi (1182-1226) inspirieren. Wichtige schöpfte er demnach auch von dem Kairoer Groß-Imam Ahmad al-Tayyeb, der höchsten Autorität des sunnitischen Islams, sowie von den Friedensnobelpreisträgern Martin Luther King und Desmond Tutu und vom indischen Unabhängigkeitskämpfer Mahatma Gandhi.