Berlin (epd). Ein Jahr vor der Bundestagswahl hat sich der Missbrauchsbeauftragte Johannes-Wilhelm Rörig mit einem Forderungskatalog an die Politik gewendet. Der Schutz von Kindern vor sexueller Gewalt zähle zu den Daueraufgaben des Staates, erklärte Rörig am Freitag in Berlin. Trotz neuer Herausforderungen durch die Corona-Krise müssten Bund und Länder sich deutlich stärker gegen Missbrauch engagieren. Die Androhung härterer Strafen allein reiche nicht aus, um sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendliche einzudämmen.
Das Thema werde immer noch den Familienressorts überlassen, kritisierte Rörig und forderte eine ressortübergreifende Strategie. Gesundheits-, Sozial-, Finanz-, Justiz- und Bildungsressorts müssten eng zusammenarbeiten, damit das Entdeckungsrisiko für die Täter erhöht und Betroffenen geholfen werde. Er bekräftigte seine Forderung nach Missbrauchsbeauftragten in allen Bundesländern. Rörig hatte die Länder wiederholt für ihre Untätigkeit kritisiert.
Für sein eigenes Amt schlug Rörig analog zum Datenschutzbeauftragten eine gesetzlich verankerte Berichtspflicht gegenüber der Bundesregierung, dem Bundestag und dem Bundesrat vor. Sie müssten regelmäßig über das Ausmaß der sexuellen Gewalt gegen Kinder und Jugendliche, Vorbeugung, Hilfen, Forschung und Aufarbeitung informiert werden, um daraus politische Entscheidungen ableiten zu können.
Die Fallzahlen von sexueller Gewalt gegen Kinder gehen seit Jahren nicht zurück. Bei Missbrauchsdarstellungen, der sogenannten Kinderpornografie, steigen sie massiv, im Vergleich zum Vorjahr um 65 Prozent. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht für Deutschland von einer Million betroffener Kinder und Jugendlicher aus, das sind im Durchschnitt ein bis zwei Schülerinnen und Schüler je Schulklasse.
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hat nach der Aufdeckung schwerster Missbrauchsfälle in Lügde, Bergisch Gladbach und Münster und auf Druck der Union einen Gesetzentwurf für Strafverschärfungen vorgelegt, der in den kommenden Wochen vom Kabinett beschlossen und dann im Bundestag und Bundesrat beraten werden soll. Der Strafrahmen für sexualisierte Gewalt gegen Kinder soll zum Teil deutlich erhöht und Missbrauch grundsätzlich als Verbrechen eingestuft werden.