epd: Herr Pastor Uhlhorn, wie geht es den Schaustellern aus Sicht des Seelsorgers nach Monaten der Pandemie?
Frank Uhlhorn: Das ist sehr unterschiedlich und oftmals abhängig von der Persönlichkeit. Grundsätzlich leiden alle Schausteller:innen an der Situation. Wichtig ist die Sicht auf die Zukunft - und die ist manchmal ganz optimistisch, nach dem Motto "das kriegen wir schon hin", manchmal aber auch recht pessimistisch. Eine Familie hat mir berichtet, dass die Grundsicherung noch nicht da sei, dass sie zwar einmalig 9.000 Euro bekommen hätten, dass das aber vorne und hinten nicht reichen würde, das Ersparte sei aufgebraucht. Mit ihnen haben etliche Familien wirklich existenzielle Sorgen. Viele Schausteller:innen fahren deshalb auf temporäre Veranstaltungen, zum Beispiel bei Baumärkten. Das sei aber ein Tropfen auf den heißen Stein und nicht dasselbe wie ein richtiger Rummel, höre ich immer wieder.
Hoffnungen sind neben den Corona-angepassten Ausgaben etwa vom Stoppelmarkt in Vechta oder vom Freimarkt in Bremen, temporären Freizeitmärkten, mit der Weihnachtsmarkt-Saison verbunden. Wenn die ins Wasser fallen würde, müssten einige sicher aufgeben. Hier in Osnabrück soll schon am 3. Oktober der Aufbau beginnen. Bis zum 24. Oktober soll alles fertig sein, 35 Buden verteilt im Stadtgebiet, bis nach dem Fest. Das sei ein Licht am Ende des Tunnels, habe ich von den Schaustellern gehört.
Aber auch da gibt es geteilte Meinungen. Die einen sagen: Mensch, wir kriegen das hin und packen das an. Wenn die Leute kommen, wird es auch wieder gut für uns. Die anderen meinen, das wird nicht wie sonst und alles geht den Bach runter. Da kommt doch gar nicht das Gefühl von Weihnachtsmarkt auf, wenn die Buden so weit auseinander stehen.
Wie sieht es denn wirtschaftlich aus?
Uhlhorn: Einerseits fehlen natürlich die Einnahmen. Und andererseits müssen die Banken weiter mitspielen bei den Krediten für die großen Fahrgeschäfte. Auch Versicherungen müssen gestundet werden. Daran liegt es, da wird es eng. Das ist natürlich auch psychischer Stress.
Ein Schausteller sagte mir, wenn er zu Hause sei und nichts zu tun habe, dann werde er leicht depressiv. Er freue sich schon, wenn er am Baumarkt eine Hütte aufbauen könne, wenn Besucher kämen. Dann sei für ihn seelisch alles in Ordnung. Wenn die Leute Freude haben, dann geht es für ihn innerlich wieder los. Dieses Zuhause-Sein und nichts zu tun haben, das geht ihm seelisch an die Substanz, eben nicht nur wirtschaftlich. Da fällt eine wichtige Basis für sein Leben weg. Und so geht es vielen Schausteller:innen. Für sie ist ihr Beruf eine Berufung. Sie sagen: Wir haben Freude, wenn andere Menschen fröhlich sind und sich auf dem Rummel amüsieren können.
Viele Volksfeste haben ihre Wurzeln ja in Kirchweih-Festen. So gesehen könnte man sie auch als ein Teil unserer Kultur begreifen.
"Es muss auch eine andere Welt geben als die der nüchternen Zweckrationalität."
Uhlhorn: Ja, so erlebe ich das auch. Wir haben die Maiwoche in Osnabrück und den Weihnachtsmarkt, bei denen die Buden eng an der Kirche mitten in der Stadt stehen. Für mich ist immer wieder erstaunlich zu sehen, wie Menschen wenigstens für den Augenblick ihre Sorgen vergessen, wie viel Freude damit verbunden ist, wenn sich die Karussells drehen. Es muss auch eine andere Welt geben als die der nüchternen Zweckrationalität.
Wie erleben Sie die Schausteller, wie gehen sie mit Herausforderungen und Problemen um?
Uhlhorn: Das sind sehr hilfsbereite Menschen. Ich bekomme beispielsweise viele Spenden von Schaustellern, die Kollekten bei Hochzeiten und Taufen sind hoch. Wenn es ihnen selbst gutgeht, soll es auch anderen gutgehen, so wird vielfach gedacht. Außerdem ist der Zusammenhalt in den Familien eng. Ich habe tatsächlich den Eindruck: Wenn man Schausteller:innen zu Freunden hat, dann hat man es gut.
Und es ist ein frommes Volk, die Verbindungen zur Kirche sind intensiv. Als Pastor der St.-Marien-Kirche in Osnabrück habe ich bis Bremen hoch und in Richtung Köln Anfragen nach Beerdigungen und Hochzeiten. Das kann ich manchmal gar nicht alles schaffen. Da merke ich, wie dünn unsere kirchliche Infrastruktur in diesem Bereich ist. Aber ich mache das gerne. Das ist eine wirklich befriedigende Arbeit, weil die Leute das gerne aufnehmen, sehr freundlich und dankbar sind.