"Es gibt im evangelikalen Milieu einen substanziellen Bodensatz an Fundamentalisten, die sich mit rückwärtsgewandten Teilen der Gesellschaft verbinden", sagte der Theologe Jürgen Schnare, Weltanschauungs- und Sektenbeauftragter der hannoverschen Landeskirche, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst. Gleichzeitig warnte er jedoch davor, alle evangelikal orientierten Christen als Corona-Leugner abzustempeln.
Im evangelikalen und freikirchlichen Lager gebe es Menschen, die auf einer wortwörtlichen Auslegung der Bibel bestünden. Sie bezögen sich dabei besonders auf das letzte Buch der Bibel, die Apokalypse oder Offenbarung des Johannes, erläuterte Schnare. Darin werde ein Endzeitkampf zwischen Gott und dem Teufel, also zwischen Gut und Böse, beschrieben. "Diese Fundamentalisten sind davon überzeugt, dass sich die Welt gerade jetzt in diesem Zeitalter befindet." Nach ihrem Verständnis könne nur die absolute Treue zu Gott Schutz bieten.
Nähe zu völkischen Ideen
In der Folge wachse die Überzeugung, dass alle anderen, inklusive der Mediziner und Regierungen, "dämonischen Mächten" unterliegen. Schnare zufolge werden dabei Zufälligkeiten für die Fundamentalisten zu scheinbaren Beweisen. Selbst der Umstand, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Berlin in der Nähe des Pergamon-Museums wohnt, werde zum Beleg dafür, dass sie teuflischen Kräften diene. In der Antike sei der Pergamon-Tempel, der heute in dem Berliner Museum steht, auch als "Thron Satans" bezeichnet worden.
Wirklich problematisch sei jedoch das Schwarz-Weiß-Denken. Nicht selten leiteten diese Leute ein nach ihrer Weltanschauung passendes Familienbild aus der Bibel ab. "Diese Mischung kann eine bedenkliche Nähe zu völkischen und rechtextremen Gedankengut schaffen", sagte Schnare. Jeder Versuch, mit diesen Menschen über ihre absolute Weltsicht zu reden, sei schwierig. "Kritische Fragen werden schnell als persönlicher Angriff auf den Glauben und die eigene Person interpretiert."