Kassel (epd). Die gesetzlichen Krankenkassen müssen im Einzelfall die Überwachung behinderter Menschen "mit Weglauftendenz" mit Hilfe einer GPS-Uhr ermöglichen. Dies gilt zumindest dann, wenn der behinderte Mensch mit der GPS-Überwachung einen größeren Freiraum und größere Mobilität in seinem Nahbereich erfährt, urteilte am Donnerstag das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel. (AZ: B 3 KR 15/19 R)
Im Streitfall ging es um einen jungen Mann mit Down-Syndrom, der bei seiner Mutter in Delmenhorst lebt. Da der Mann ständig wegläuft und orientierungslos ist, muss die Mutter ihn dauernd überwachen oder in seinem Zimmer einschließen. Sein Arzt verschrieb schließlich eine GPS-Notfalluhr, die Alarm schlägt, sobald ein festgelegter Aufenthaltsbereich verlassen wird. Die Uhr ist so konzipiert, dass sie nicht einfach vom Arm entfernt werden kann.
Die AOK Niedersachsen lehnte es ab, die rund 1.000 Euro teure Uhr zu bezahlen. Die Uhr stelle kein Hilfsmittel des Behinderungsausgleichs dar. Die Weglauftendenz bestehe mit oder ohne GPS-Uhr. Diese solle lediglich die Betreuung zu Hause und in der Tagesförderungsstätte erleichtern.
Das Niedersächsische Landessozialgericht verpflichtete die Krankenkasse zur Hilfsmittelversorgung (AZ: L 16 KR 182/18). Die GPS-Uhr mit Alarmfunktion könne die Folgen geistiger Behinderung abmildern, indem mit ihr Mobilität und Bewegungsfreiheit überhaupt erst ermöglicht würden. Die "bestehende Isolation und Freiheitsentziehung durch Wegsperren" würden verringert.
Dem folgten nun auch die obersten Sozialrichter in Kassel. Die GPS-Uhr vergrößere die Unabhängigkeit, sich in Grenzen - etwa in der Tagesförderungsstätte - aufzuhalten. Das Hilfsmittel verbessere die Mobilität und diene damit dem Behinderungsausgleich. Allerdings müsse die Krankenkasse nicht pauschal die Kosten für die GPS-Uhr erstatten. Eine Versorgung sei auch möglich, indem diese leihweise zur Verfügung gestellt werde. Um einen nicht von der Kasse zu übernehmenden Gebrauchsgegenstand handele es sich bei der GPS-Uhr nicht.