Frankfurt a.M., Moria (epd). Nach dem Brand im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos herrschen dort nach Berichten von Helfern chaotische Zustände. Die Versorgung der rund 12.000 Menschen vor Ort sei zusammengebrochen, sagte der Mainzer Arzt Gerhard Trabert am Mittwoch dem Evangelischen Pressedienst (epd). Hilfsorganisationen dürften das von Sicherheitskräften abgeriegelte Areal nicht mehr betreten. Tausende Menschen irrten durch die Straßen des Lagers, es gebe zurzeit kein Essen und kein Wasser. Das Feuer in dem völlig überfüllten Lager war laut der griechischen Nachrichtenagentur ANA gegen zwei Uhr in der Nacht ausgebrochen. Berichte über Verletzte oder Tote lagen zunächst nicht vor.
Die Flammen zerstörten offenbar große Teile des Lagers. Betroffen sei unter anderem das Zentrallager, erklärte der Geschäftsführer der Organisation Wadi, Thomas Osten Sacken, auf Facebook von der Lage vor Ort. Auf den von ihm veröffentlichten Bildern waren niedergebrannte Notunterkünfte und qualmende Flächen zu sehen. Es sei "ein Alptraum, für den es kaum Worte gibt".
Marco Sandrone von "Ärzte ohne Grenzen" aus Lesbos erklärte: "Wir sahen, wie sich das Feuer in Moria ausbreitete und die ganze Nacht wütete. Wir sahen, wie die Menschen aus einer brennenden Hölle flüchteten."
Wie die offenbar mehreren Brände entstanden, war zunächst unklar. In Medienberichten wurde darüber spekuliert, ob Flüchtlinge aus verzweifeltem Protest Feuer gelegt hatten. Vorausgegangen waren Proteste von Geflüchteten gegen ihre inhumane Unterbringung und Versorgung sowie gegen unzureichende Maßnahmen zum Schutz vor einer Ansteckung mit Covid-19. Seit dem ersten offiziellen Corona-Fall Anfang September war die Zahl der bestätigten Fälle auf 35 angestiegen.
Bereits nach Bekanntwerden erster Coronavirus-Fälle sei die Versorgung der Menschen noch einmal deutlich schlechter geworden, sagte der Mainzer Arzt Trabert, Vorsitzende des Vereins "Armut und Gesundheit in Deutschland", der zuletzt im August mit Hilfsmaterial in dem Lager war. Ob die Feuer von fremdenfeindlichen Extremisten oder verzweifelten Bewohnern gelegt wurden, sei in der aktuellen Notsituation zweitrangig.
Amnesty International erklärte, die Menschen auf der Insel Lesbos harrten jetzt mit ihrem Hab und Gut auf der Straße aus. Sie müssten umgehend auf das griechische Festland evakuiert und in andere europäische Staaten umverteilt werden. Die Hilfsorganisation Oxfam sprach von einer "Katastrophe mit Ansage". Man könne "Menschen nicht Jahre lang im Dreck leben lassen, ihnen Rechte vorenthalten, sie schließlich ungeschützt einer Pandemie aussetzen und dann überrascht sein, wenn sie gegen ihre Lebensbedingungen aufbegehren", bekräftigte Ramona Lenz von medico international.
Auch die kirchlichen Hilfswerke Diakonie und Caritas forderten eine sofortige Evakuierung der geschwächten Menschen. "Diese katastrophale Lage duldet keinen Aufschub", betonte Diakonie-Präsident Ulrich Lilie. Caritas international kündigte für die Versorgung in Moria 50.000 Euro Soforthilfe an. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, erklärte: "Das Leid, das Tausende Menschen dort seit Monaten ertragen, lässt sich kaum in Worte fassen." Seit langer Zeit sei auf die schlimmen Zustände in dem Lager hingewiesen und Abhilfe gefordert worden.
Auch deutsche Politiker reagierten mit Entsetzen auf den Brand in Moria. Aus Reihen von SPD und Opposition wurde zudem Kritik an Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) laut. So erklärte etwa Grünen-Chefin Annalena Baerbock in den Zeitungen der Funke Mediengruppe, bisher seien Bundesländer, die mehr Menschen aufnehmen wollen, bei Seehofer "gegen die Wand" gelaufen. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken und der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag, Rolf Mützenich, forderten Seehofer auf, seinen Widerstand gegen die Aufnahme von Flüchtlingen durch Städte und Kommunen zu beenden, die sich im Bündnis "Seebrücke" zusammengeschlossen haben.
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