Magdeburg (epd). Mit eindrücklichen Worten haben am Mittwoch vor dem Oberlandesgericht Naumburg Betroffene aus der Synagoge in Halle die Ereignisse um das antisemitische Attentat am 9. Oktober 2019 geschildert. Deutliche Kritik übten die Zeugen am Umgang der Polizei mit den Gläubigen. In einem emotionalen Statement bezeichnete Christina Feist, die den Anschlag in der Synagoge erlebte, das Verhalten der Polizei als unsensibel und fahrlässig. Sie habe kein Vertrauen gehabt. "Es gibt ein massives Problem mit Antisemitismus. Das muss endlich ernst genommen werden", sagte Feist.
Die 30-Jährige, die in Paris promoviert, berichtete in Magdeburg vor Gericht von erheblichen gesundheitlichen Problemen nach dem Attentat: "Ich habe Angst. Ich kann nicht in Deutschland leben." Sie habe auch Angst, schon wieder nicht gehört zu werden. Sie mahnte zugleich, im Gericht nicht unreflektiert die Sprache des Attentäters zu übernehmen. Es sei unfassbar, dass der Angeklagte offenbar mehr über das jüdische Fest Jom Kippur wisse als die deutsche Polizei oder die Verteidigung im Gericht.
Schon am Morgen des 9. Oktober 2019 habe sie sich gewundert, dass keine Polizisten vor der Synagoge standen, wie sie es aus anderen Großstädten wie Berlin kenne, sagte die 30-Jährige. Sie habe dann erfahren, dass sich die Gemeinde wohl vergeblich um Polizeischutz bemüht haben soll. Das war auch einer 24-jährigen Studentin der jüdischen Theologie aufgefallen. Sie beschrieb den ersten Knall, die Türen seien verbarrikadiert worden. Dann seien sie über eine Treppe nach oben gegangen.
Für die junge Frau stand später an diesem Tag die irritierende Behandlung durch die Polizei ebenfalls im Gegensatz zum herzlichen Umgang im Krankenhaus. Sie sagte, noch immer sei Antisemitismus nicht überwunden: "Mein Herz läuft vor Trauer über, das zu sehen." Es sei jetzt notwendig zu sagen: "Stopp, es reicht!" Beide Frauen erhielten wieder Unterstützung und Applaus aus dem Publikum. Anders als Feist betonte die junge Studentin, sie wolle weiter hier leben und ihren Traum verwirklichen, in Deutschland zu studieren. Wie andere der Gottesdienstteilnehmer leide aber auch sie unter einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Der Sicherheitsbeauftragte der Synagoge gab an, über die Überwachungskamera die Ankunft des Attentäters beobachtet zu haben. Dabei habe er die gefährliche Situation erkannt. Ein Auto habe vor der Friedhofsmauer geparkt, und ein Mann sei mit einer Waffe ausgestiegen, die an eine Pumpgun erinnert habe, sagte der 56-Jährige. Er habe keine Panik auslösen wollen und dem Gemeindevorsitzenden gesagt, er solle die Polizei alarmieren. Dann habe er noch sämtliche Türen abschließen müssen, die normalerweise nicht abgeschlossen waren. Die Holztür, auf die der Attentäter schoss, war nach seinen Angaben während des Gottesdienstes wie immer verriegelt. Er habe Angst um die Menschen in der Synagoge gehabt, darunter seine Mutter, sagte er: "Ich wollte sie beschützen."
Stephan B. hatte am 9. Oktober 2019 einen Anschlag auf die Synagoge in Halle verübt, zwei Menschen erschossen und weitere verletzt. Die Bundesanwaltschaft hat ihn wegen Mordes in zwei Fällen, versuchten Mordes in mehreren Fällen sowie weiteren Straftaten angeklagt.