Pfeiffer: Echo auf Berlin-Demo wertet Rechtsextreme unnötig auf
02.09.2020
epd
epd-Gespräch: Martina Schwager

Hannover, Berlin (epd). Der Kriminologe Christian Pfeiffer hält die Reaktionen auf die Demonstration von Neonazis, Reichsbürgern, Verschwörungstheoretikern und Corona-Skeptikern in Berlin am vergangenen Wochenende für völlig übertrieben. Die Rechtsextremen hätten allein durch eine Polizeipanne bei der Eskalation am Reichstag eine mediale Aufmerksamkeit erfahren, die ihrer schwindenden Bedeutung nicht entspreche, sagte Pfeiffer dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Wäre die Polizei vor Ort mit vielen Beamten aktiv gewesen, hätten die Medien nichts berichten können und es wäre ein erstaunlich ruhiger Tag gewesen."

Wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier davon zu sprechen, die Demokratie sei im Zentrum angegriffen worden, werte die rechte Szenerie unnötig auf, sagte der frühere Direktor des Kriminologischen Instituts Niedersachsen. "Das tut denen zu viel Ehre an, die hier Wahnsinn brüllen." Die Polizei habe eine schlechte Führung gehabt. "Dass der Reichstag als das Symbol der Demokratie Zielobjekt der Rechten sein könnte, war vorher klar. Bei besserer Vorbreitung hätte das verhindert werden können."

Wenn berücksichtigt werde, dass aus ganz Deutschland rechtsextreme Gruppen nach Berlin gereist seien, relativiere sich ihre Gesamtzahl, sagte Pfeiffer. Zudem sei die klare Mehrheit der 40.000 Demonstranten Normalbürger gewesen, die ihrem Ärger über die Corona-Einschränkungen Luft machen wollten, aber die mit radikal rechten Positionen nicht einverstanden seien. Sie hätten sich schließlich nicht mit den Rechten zu einer gemeinsamen Demonstration verabredet. "Da wird zu viel hineingeheimnisst und von einer Gefährdung der Demokratie gesprochen, die nicht real ist."

Polizei und Verfassungsschutz seien gerade sehr gut aufgestellt, um gegen den tatsächlich existierenden Rechtsextremismus vorzugehen und im Ansatz Dinge zu unterbinden, lobte der Kriminologe. "Da bin ich sehr einverstanden mit dem Verfassungsschutz, wie er neuerdings Flagge zeigt und wie die Polizei gegen kriminelle Rechtsextreme vorgeht."

Seitdem sich die Flüchtlingssituation entspannt habe, weil weniger Flüchtlinge nach Deutschland kämen und die hier lebenden besser integriert würden, fehle den Rechten zudem der Ansatzpunkt, Stimmen zu gewinnen, sagte Pfeiffer: "Das wird sich hoffentlich dann auch in der nächsten Bundestagswahl zeigen."

Die Jugendforschung zeige zudem, dass der Rückhalt der Rechtsextremen unter den Jugendlichen sehr gering sei. So hätten in einer Repräsentativbefragung nur fünf bis sechs Prozent der männlichen Jugendlichen und 1,5 Prozent der weiblichen Jugendlichen angegeben, dass sie rechtsextrem seien. "Ich sehe deshalb die Demokratie nicht in Gefahr. Aber ich sehe sie gefordert. Die Institutionen und wir alle sind gefordert. Wie dürfen nicht die Hände in den Schoß legen. Demokratie kommt nicht von alleine."