Gegner von Corona-Politik demonstrieren mit Rechtsextremen in Berlin
Polizei schätzt Teilnehmerzahl auf 38.000 - Reichsflaggen vor Bundestag
Zehntausende haben in Berlin gegen die Corona-Politik demonstriert, darunter Rechtsextreme. Sie durchbrachen Absperrungen am Bundestag, schwenkten Reichsflaggen und griffen Polizisten an. "Unerträglich" nannte Bundespräsident Steinmeier die Szenen.

Berlin (epd). Regenbogenfahne neben Reichsflagge, Luftballons neben Trump-Plakaten, rechtsextreme Zahlencodes neben Blumenkränzen: Bei den Demonstrationen gegen die Corona-Schutzmaßnahmen am Samstag in Berlin gingen Kritiker der Regeln Seite an Seite mit Rechtsextremen und Verschwörungstheoretikern auf die Straße. Mehrere Aufzüge und Kundgebungen erstreckten sich von der Friedrichstraße bis zur Siegessäule. Die Zahl der Teilnehmer schätzten die Behörden am Abend auf bis zu 38.000. Die teils sehr emotionale Stimmung entlud sich am Abend auch in Gewalt.

Demonstranten durchbrachen am Abend die Absperrungen zum Reichstagsgebäude. Sie stürmten die Treppen des symbolträchtigen Parlamentsgebäudes und schwenkten davor die Flagge des Kaiserreichs, deren Farben schwarz, weiß und rot auch in der Flagge der Nationalsozialisten verwendet wurden. Führende Politiker reagierten entsetzt. "Reichsflaggen und rechtsextreme Pöbeleien vor dem Deutschen Bundestag sind ein unerträglicher Angriff auf das Herz unserer Demokratie", schrieb Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auf Facebook.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte der "Bild am Sonntag", das Reichstagsgebäude als Wirkungsstätte des Parlaments sei "das symbolische Zentrum unserer freiheitlichen Demokratie". Dass "Chaoten und Extremisten" ihn für ihre Zwecke missbrauchten, sei unerträglich.

SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz (SPD) twitterte, Nazisymbole, Reichsbürger- und Kaiserreichflaggen hätten vor dem Bundestag "rein gar nichts verloren". Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Montag), gegen "diese Feinde unserer Demokratie" müsse man sich mit aller Konsequenz zur Wehr setzen.

Vor dem Reichstagegebäude hatten sich von Samstagmittag an vor allem Rechtsextreme und sogenannte Reichsbürger, die die Legitimität der Bundesrepublik bestreiten, versammelt. Die Polizei löste die Veranstaltung nach der Gewalt am Abend auf. Schon zuvor hatte es Gewaltszenen an der russischen Botschaft in der Nähe des Brandenburger Tors gegeben. Rechtsextreme wehrten sich mit Flaschenwürfen gegen die Auflösung der dortigen Versammlung durch die Polizei. Die Auflösung war wegen der Missachtung der Hygieneregeln verfügt worden. Die Polizei setzte Pfefferspray ein.

Auch unter die anderen Demonstrationen von Gegnern der Corona-Politik an der Siegessäule und auf der Friedrichstraße mischten sich offensichtliche Sympathisanten der rechtsextremen Szene. Erkennbar waren sie unter anderem durch Symbole und Zahlencodes, die auf den Nationalsozialismus anspielen.

"Mein Verständnis endet da, wo Demonstranten sich vor den Karren von Demokratiefeinden und politischen Hetzern spannen lassen", schrieb Steinmeier. Der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Jörg Radek, erklärte am Sonntag, eine klare Distanzierung der Demo-Teilnehmer von Rechtsextremen habe er nicht wahrnehmen können. Es sei erschreckend, dass sich rechtsextremistische Gruppen ungestört unter andere Demonstrierende haben mischen können.

2.900 Polizisten aus mehreren Bundesländern waren nach Angaben von Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) am Samstag in Berlin im Einsatz. Zu den Hauptdemos aufgerufen hatte die Stuttgarter Initiative "Querdenken 711". Sie fordert die Rücknahme aller Beschränkungen, die eine weitere Ausbreitung des Coronavirus verhindern soll. Unterstützt wird sie auch von Rechtsextremen und Verschwörungstheoretikern.