Altmodischer Fernseher vor einer Wand
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TV-Tipp: "Sein letztes Rennen"
3.9., MDR, 23.55 Uhr
Wenn jemand eine Filmidee elf Jahre lang mit sich herumträgt, muss am Ende einfach ein großes Werk entstehen. Eigentlich hätte "Sein letztes Rennen" Kilian Riedhofs Regiedebüt werden sollen. 2001 hat er begonnen, das Projekt zu entwickeln.

Anschließend hat er rund ein Dutzend Filme gedreht, darunter mit dem vielfach ausgezeichneten TV-Drama "Homevideo" eines der mutigsten und bedrückendsten Fernsehspiele der letzten Jahre. Dass es so lange dauerte, bis er sein Kinodebüt nachholen konnte, hat auch mit dem Hauptdarsteller zu tun: Für die Rolle des rennenden Rentners, der dem Tod davonläuft, wollte Riedhof unbedingt Dieter Hallervorden verpflichten; und der war damals mit Mitte sechzig schlicht noch zu jung. 2012 war es dann so weit: Mit Ende siebzig wirkte der beliebte Komiker, der übermorgen 85 wird, wie der Weihnachtsmann im Urlaub und hatte somit die richtige Statur und das perfekte Alter für den einstigen Marathon-Star Paul Averhoff, der mit seiner Frau Margot (Tatja Seibt) in ein Altenheim zieht und sich fortan fühlt wie ein Zug auf dem Abstellgleis.

Angesichts der demografischen Entwicklung befassen sich Kino- und Fernsehproduktionen immer häufiger mit dem Lebensabend; Filme wie "Bis zum Horizont, dann links!" oder "Die Spätzünder" waren tragikomische Verbeugungen vor Menschen, die dagegen rebellieren, einfach abgeschoben zu werden. Auch Paul besinnt sich seines Lebensmottos "Wer stehen bleibt, hat schon verloren" und beginnt, im Park des Altenheims seine Runden zu drehen. Mit der Teilnahme am Berliner Marathon will er beweisen, dass er noch nicht zum alten Eisen gehört. Von diesem Plan lässt er sich durch nichts und niemanden abbringen: weder von seiner Tochter (Heike Makatsch) noch von der Heimtherapeutin (Katharina Lorenz); und erst recht nicht von Rudolf (Otto Mellies), dem selbsternannten Wortführer der Senioren, der Paul nicht mag, weil er die Ordnung im Heim durcheinanderbringt. Als Margot stirbt, verliert der einstige Olympiasieger und Gewinner aller wichtigen Marathonrennen nicht nur die geliebte Gattin, sondern auch seine Trainerin, doch sie sorgt dennoch dafür, dass er der gemeinsamen Maxime treu bleibt: "weiter, immer weiter!"

Wie alle Geschichten dieser Art übt auch "Sein letztes Rennen" profunde Kritik an Pflegenotstand und Altenbetreuung; kindische Beschäftigungstherapien fördern die Alten nicht, sondern forcieren nur ihre Regression. Hinzu kommen die nicht minder obligaten Momente großer Rührung. Trotzdem wird Riedhofs Werk weder von der Botschaft noch von übertriebener Sentimentalität erdrückt. Der Film hat durchaus komische Züge, die allerdings meist aus der Situation heraus entstehen. Hallervorden ist keineswegs als Komödiant besetzt worden, im Gegenteil; von dem aus diversen Klamotten bekannten "Didi" fehlt hier zum Glück jede Spur. Umso höher ist die Leistung des Kabarettisten zu würdigen, zumal der rastlose Läufer durchaus eine gewisse Rücksichtslosigkeit an den Tag legt. Hallervorden, der diesem Film sein Comeback als Schauspieler zu verdanken hat, verkörpert den alten Mann weder als fröhlichen Rentner noch als unverwüstlichen Dauerläufer; wenn sich Paul am Ende über die letzten Meter des Marathons quält, leidet man angesichts der Strapazen regelrecht mit. Entsprechend groß ist der Gänsehauteffekt, wenn der alte Mann schließlich das Olympiastadion erreicht.

Spätestens die Schlussszenen sind ohnehin großes Kino. Die Dreharbeiten dürften nicht nur für den Hauptdarsteller eine echte Herausforderung gewesen sein: Hallervorden hat den Marathon tatsächlich zum Teil absolviert. Auf diese Weise konnte Riedhof auch die Reaktionen der Umgebung integrieren: Dass Zuschauer und Teilnehmer auf den prominenten Mitläufer aufmerksam werden, ist durchaus plausibel, denn auch Averhoff ist ja eine Legende. Eine bewegende, ausgezeichnet besetzte Tragikomödie mit tollen Rollen für viele große und in Würde ergraute Schauspieler. Riedhofs Geduld hat sich ausgezahlt.