Berlin, São Paulo (epd). Afrobrasilianische Politikerinnen und Politiker können nach einer Gerichtsentscheidung auf mehr Öffentlichkeit in Wahlkämpfen hoffen. Sie sollen künftig mehr Sendezeit in Fernsehen und Radio für Wahlwerbung und einen gerechteren Anteil öffentlicher Mittel erhalten. Dies entschied das Oberste Wahlgericht Brasiliens am Mittwoch (Ortszeit) mit sechs zu eins Stimmen. Die Regelungen gelten ab den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2022.
Gerichtspräsident Luís Roberto Barroso sprach von einem historischen Urteil. "Es gibt Momente im Leben, in denen jeder entscheiden muss, auf welcher Seite der Geschichte er steht", sagte er. Mit dem Urteil werde deutlich, "dass wir auf der Seite derjenigen stehen, die den Rassismus bekämpfen".
In Brasilien definiert sich mehr als die Hälfte der Bevölkerung als farbig. Darunter zählen Nachfahren afrikanischer Sklaven, Ureinwohner und alle, deren Vorfahren nicht ausschließlich zu den portugiesischen Kolonisatoren gehörten. Allerdings sind sie in der Politik stark unterrepräsentiert. Im Kongress hat weniger als ein Viertel der Abgeordneten eine dunkle Hautfarbe. In der Regierung von Präsident Jair Bolsonaro, der auch mehrfach durch rassistische Äußerungen auffiel, gibt es keinen Minister afrobrasilianischer Herkunft.
Obwohl die Verfassung Diskriminierung verurteilt, sind Afrobrasilianer in der brasilianischen Gesellschaft stark benachteiligt. Sie verdienen im Durchschnitt weniger als Weiße, haben eine schlechtere Schulbildung und sind häufiger von Arbeitslosigkeit betroffen. Unter dem linksgerichteten Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva (2003 bis 2011) wurden erstmals Quoten für afrobrasilianische und indigene Studenten an öffentlichen Universitäten eingeführt.