Karl-Martin Harms zieht seinen Rollcontainer über die Gänge des Flughafens und stoppt an einer Wechselstube im Terminal B. Er bietet der Mitarbeiterin, die gerade die Fenster reinigt, ein Päckchen Ahoi-Brause an. "Öffnen Sie wieder?", fragt er die Frau - doch sie verneint. Seit Corona ist es still geworden am Flughafen Hannover-Langenhagen. Harms ist seit knapp einem Jahr Flughafenseelsorger und kennt auch die Zeiten des Hochbetriebs. Doch zurzeit können oder wollen nur wenige Menschen fliegen.
Unlängst fand der Pastor im Spendenkasten der Flughafenkapelle mehrere Geldscheine einer exotischen Währung. Er wüsste gern, wie hoch der Betrag in Euro ist, den der unbekannte Spender hinterlassen hat. Doch in der Wechselstube wird er es nicht erfahren. Auch viele Geschäfte und Gastronomiebetriebe sind geschlossen. Seine Brausewürfel, die blauen Luftballons und die kleinen, mehrsprachigen Reisesegen-Hefte, die er in seinem Container umherfährt, wird er derzeit nicht los.
Auf dem Rollfeld entdeckt der 58-Jährige eine Maschine der Aegean Airlines. "Sie fliegen wieder nach Athen, wie schön!", sagt er. Die Seelsorge hat sich in den vergangenen Monaten auf die Beschäftigten am Flughafen verlagert. Manche haben Angst um ihren Job, die Tourismusbranche ist besonders gebeutelt vom Corona-Virus. Doch es ist nicht so, dass die Menschen Harms die Bude einrennen. "Ich rufe überall an und biete meine Unterstützung an."
Auch mit Betriebsrat Matthias Bruns ist der Pastor in gutem Kontakt. Die Flughafengesellschaft hat mit der Belegschaft eine Betriebsvereinbarung zur Kurzarbeit abgeschlossen, die zunächst bis März 2021 gilt. Das Kurzarbeitergeld werde vom Unternehmen aufgestockt, betriebsbedingte Kündigungen seien ausgeschlossen, berichtet Bruns. "Wir sind ebenso wie Frankfurt, München und Stuttgart ein solventer Flughafen und konnten die Einnahmerückgänge bislang mit eigener Kraft kompensieren."
Der Arbeitnehmervertreter weiß aber auch: "Wenn wir dauerhaft nicht mehr sechs Millionen, sondern nur noch zwei Millionen Passagiere im Jahr abfertigen, können wir das nicht mehr mit 750 Beschäftigten tun." Der Betriebsrat sei deshalb mit der Geschäftsführung in Gesprächen, ob nicht an Fremdfirmen vergebene Aufträge wie die Bordkartenkontrolle wieder mit eigenem Personal erledigt werden könnten.
Gespenstische Atmosphäre während des Lockdowns
Während des Lockdowns sei es am Flughafen gespenstisch gewesen, erzählt Pastor Harms. "Da war hier nur die Notbeleuchtung an. Aktuell gibt es zumindest eine Schlange: die vor dem Covid-19-Testzentrum der Johanniter. Geduldig stellen sich die Reiserückkehrer an und lassen die nur wenige Sekunden dauernde Testprozedur über sich ergehen. Karl-Martin Harms schaut auch hier nach dem Rechten. An seiner Weste ist er als Flughafen-Seelsorger erkennbar. Er plaudert mit den Menschen kurz über ihre Reiseziele, gibt auch mal eine Auskunft.
Zwei Tage in der Woche verbringt der Pastor am Flughafen. Für die Seelsorge dort hat er einen Stellenanteil von 30 Prozent. An der Glastür der Flughafenkapelle steht seine Handy-Nummer. Auf Wunsch erteilt der Pastor einen persönlichen Reisesegen. Gemeinsam mit seinem ehrenamtlichen Team will er künftig auch wieder regelmäßige Termine anbieten. Jeden ersten und dritten Donnerstag im Monat gibt es im Wechsel Live-Musik und ein Abendgebet. Die Ökumenische Kapelle, die von der evangelischen und katholischen Kirche gemeinsam finanziert wird, ist rund um die Uhr für Andacht und Gebet geöffnet.
"Ich muss mir meine Arbeit jeden Tag neu erfinden"
In einigen Ländern steht mit der ungewissen Zukunft der Luftfahrt auch die Seelsorge auf der Kippe, sagt Stephan Pfenninger, Flughafenseelsorger in Zürich und Medienverantwortlicher der "International Association of Civil Aviation Chaplains": "In Deutschland und der Schweiz sind die Seelsorger mehrheitlich kirchlich finanziert, in Amerika geschieht dies zumeist über Fundraising. Und in Paris oder auch an verschiedenen Flughäfen in englischsprachigen Ländern wird das Angebot direkt von den Flughäfen finanziert."
Pfenninger sieht wachsenden Bedarf für die Arbeit der Seelsorger: "Ein großes Thema ist Einsamkeit, insbesondere beim fliegenden Personal. Für die Beschäftigten ist es schwierig, soziale Kontakte aufrecht zu erhalten. Das hat sich zum Teil noch verschärft, als viele auf Kurzarbeit oder im Homeoffice waren und nicht mal mehr die Kontakte bei der Arbeit hatten." Karl-Martin Harms sieht das ähnlich. Er will den Erfolg seiner Angebote nicht an den Teilnehmendenzahlen messen: "Wir können doch nicht immer erwarten, dass die Menschen zu uns kommen. Ich muss mir meine Arbeit jeden Tag neu erfinden."