Frankfurt a.M. (epd). Rund ein Jahr nach der tödlichen Gleis-Attacke im Hauptbahnhof Frankfurt am Main hat am Mittwoch der Prozess gegen den Tatverdächtigen begonnen. Der Mann hatte Ende Juli 2019 einen achtjährigen Jungen vor einen einfahrenden ICE gestoßen, der Junge kam dabei ums Leben. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 41-jährigen Beschuldigten Totschlag, versuchten Totschlag und Körperverletzung in zwei Fällen vor, wie die Oberstaatsanwältin Nadja Niesen dem Evangelischen Pressedienst (epd) mitteilte. Das Gericht habe bereits erklärt, dass auch die Vorwürfe Mord beziehungsweise versuchter Mord infrage kämen.
Ein psychologisches Gutachten stellte fest, dass der Familienvater aus der Schweiz mit eritreischer Staatsangehörigkeit an einer schizophrenen Psychose leidet. Es sei deshalb davon auszugehen, dass er nicht schuldfähig war, sagte Niesen. Die Staatsanwaltschaft habe deshalb den Antrag gestellt, den Mann dauerhaft in der Psychiatrie unterzubringen. Für den Prozess seien zunächst sechs Verhandlungstage angesetzt. Die Familie des Getöteten nehme als Nebenkläger teil.
Der kurz nach der Tat gefasste Mann hatte nicht nur den achtjährigen Jungen, sondern auch dessen Mutter vor den Zug gestoßen. Sie konnte sich rechtzeitig von den Schienen retten. Auch versuchte der Täter, eine 78-Jährige auf das Gleis zu stoßen. Sie stürzte jedoch auf den Bahnsteig und brach sich den Arm. Der Täter floh, wurde aber von Passanten und Polizisten verfolgt und wenig später gefasst.
"Seit dem tragischen Verlust unseres kleinen Sohns und Bruders geht es uns nicht gut", zitierte der evangelische Propst für Rhein-Main, Oliver Albrecht, am Mittwoch aus einer Mitteilung der Familie. "In den vergangenen Monaten stand einzig die Erinnerung und Trauer um unseren kleinen Leo im Vordergrund." Albrecht hatte die Trauerfeier zur Beerdigung des Jungen geleitet. Die Familie werde weiter psychologisch und seelsorglich betreut, sagte er. Sie kritisiere die mangelhaften Sicherheitsvorkehrungen der Bahn: "Schreckliche Taten wie diese sowie tragische Unfälle dürfen in Zukunft nicht mehr geschehen und hingenommen werden."
Der Täter ist nach Angaben von Staatsanwaltschaft und Bundespolizei verheiratet und hat drei Kinder. Er lebte seit 2006 in der Schweiz, hatte den Angaben zufolge dort Asyl erhalten, Arbeit gefunden und als gut integriert gegolten. Der 41-Jährige sei bereits an seinem Wohnort in psychiatrischer Behandlung gewesen. Zum Tatzeitpunkt sei er per Haftbefehl gesucht worden. Er soll eine Woche zuvor seine Frau und seine drei Kinder in der Wohnung eingesperrt und eine Nachbarin mit einem Messer bedroht haben. Die deutsche Polizei habe keine Informationen über ihn gehabt.
Die Tat erregte damals bundesweit Aufsehen. Wochenlang legten Passanten Kerzen, Blumen und Stofftiere am Ende von Gleis sieben ab. An einer ökumenischen Andacht auf dem Bahnhofsvorplatz nahmen mehrere Hundert Menschen teil. Am Rande störten Rechts- und Linksradikale das Gedenken.