Berlin (epd). Angesichts wirtschaftlicher Rivalitäten zwischen den USA und China mahnt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einen globalen Dialog zur Gestaltung der digitalen Zukunft an. Der "sich in diesen Monaten aufschaukelnde Weltkonflikt" müsse alle mit Sorge erfüllen, sagte Steinmeier am Montag zur Eröffnung einer Konferenz zur "Ethik der Digitalisierung" im Schloss Bellevue in Berlin. Bestrebungen, das Internet zum Zweck staatlicher Kontrolle und wirtschaftlicher Vorteile zu renationalisieren und aufzuspalten - aus dem Internet ein "Splinternet" zu machen -, seien ein Ausdruck dieses Konflikts.
Steinmeier betonte, weder Kleinstaaterei noch Dominanzstreben dürften den Weg in die digitale Zukunft bestimmen: "Ein neues Jeder-gegen-jeden, damit dürfen wir uns nicht zufriedengeben." Gerade weil die digitale Revolution in allen Ländern ähnliche Fragen aufwerfe, geht es um nicht weniger als die Frage, welche Ordnung die digitale Welt künftig leiten solle. Um eine solche Ordnung zu konzipieren, sei der Dialog über gemeinsame ethische Mindeststandards nötig.
"Es ist naiv zu glauben, aus nationalen Regeln und Grundsätzen für soziale Netzwerke, für Massendatenauswertung, für autonome Systeme bis hin zu Kriegswaffen oder für die technischen Grundlagen des Internets würde schon irgendwie ein sinnvolles Ganzes entstehen", sagte der Bundespräsident. Wer nicht wolle, dass "in der digitalen Zukunft bald das Recht des Dschungels gilt", müsse sich um eine funktionierende internationale Ordnung kümmern.
Ein auf zwei Jahre angelegtes internationale wissenschaftliche Projekt "Ethik der Digitalisierung" befasst sich mit Fragen der Ethik von Technik und Internet. Zum Beispiel geht es um Fragen, wie Algorithmen und künstliche Intelligenz transparent und fair gestaltet werden und wie die moderne Gesellschaft mit den Umbrüchen durch Digitalisierung umgehen kann. Die Schirmherrschaft hat Steinmeier übernommen, die Umsetzung erfolgt durch das "Global Network of Internet and Society Research Centers", einen Verbund von mehr als 100 internationalen Forschungsinstituten, in Kooperation mit der Stiftung Mercator.
Mitarbeiten wird unter anderem die an der niederländischen Tilburg-Universität tätige Juristin Sunimal Mendis. Sie stellte das Ziel einer universalen Ethik infrage und warb eher für eine Annäherung, für gemeinsame ethische Minimalstandards, die von den weltweit sehr unterschiedlichen Gesellschaften auf die für sie passende Art genutzt werden können.
Die frühere Bundesforschungsministerin Annette Schavan, derzeit Ko-Vorsitzende des Deutsch-Chinesischen Dialogforums, betonte, die Digitalisierung sei nicht mehr nur ein Wandel, es gehe um Veränderungen in einem fundamentalen Sinn. Hierbei gewinne das Zusammenspiel von Wissenschaft und Politik massiv an Bedeutung. Vieles werde sich letztlich an den konkreten Fragen entscheiden und nicht an den allgemeinen, fügte sie hinzu.
Neben dem Phänomen von Hass und Hetze im Netz beschäftigen sich Politik und Wissenschaft bereits seit längerem auch mit der ethischen Dimension der Funktionsweise neuer Technologien. Im vergangenen Herbst hatte die von der Bundesregierung berufene Datenethikkommission ethische und rechtliche Leitlinien vorgelegt. In der Debatte geht es etwa um den Schutz und die Sicherheit von Daten, das Vermeiden von Missbrauch sensibler Daten und von Diskriminierung bestimmter Personengruppen beispielsweise im Gesundheitsbereich sowie die Transparenz sogenannter Algorithmen, die eine Vorauswahl von Inhalten treffen.