Im sächsischen Heidenau spricht heute kaum einer mehr von dem Hass auf Flüchtlinge im August 2015. Die Stadt will sich von ihrem Negativ-Image nach den schweren Ausschreitungen befreien. Dabei ist noch nicht einmal die juristische Aufarbeitung abgeschlossen. Damals geriet die Kommune in die Schlagzeilen, stand für eine neue Eskalationsstufe im Protest gegen die Aufnahme geflüchteter Menschen.
Am 21. und 22. August schlug in Heidenau der Hass in Gewalt um: Vor einer Flüchtlingsunterkunft flogen Steine, wurden Böller gezündet und mehr als 30 Polizisten zum Teil schwer verletzt. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wenige Tage später die Einrichtung besuchte, wurde sie von Einheimischen übel beschimpft.
Dort, wo die Randale vor fünf Jahren tobte, ist es jetzt ruhig. Im April 2016 waren die letzten Flüchtlinge ausgezogen. In der früheren Erstaufnahmeeinrichtung stehen Möbel. Ein Unternehmen der Region nutzt die Räume als Lager.
"Integration ist in der Stadt kein Reizthema mehr", sagt die evangelisch-lutherische Pfarrerin Erdmute Gustke. Sie werde in Kindertagesstätten, Schulen und im Wohnumfeld praktiziert. Es gebe Initiativen für Integration und ehrenamtliches Engagement.
In der evangelischen Christuskirche findet einmal im Monat ein Begegnungscafé statt. Zudem wird etwa für Frauen Deutschunterricht organisiert - und parallel dazu eine Kinderbetreuung. Vieles, was Integration und gute Beziehungen fördert, geschehe "im Kleinen", sagt Gustke.
Tiefer Riss
Nur 115 Asylbewerber leben derzeit laut dem zuständigen Landratsamt Sächsische Schweiz-Osterzgebirge in Heidenau - bei rund 16.000 Einwohnern ein absolute Minderheit. Untergebracht seien sie dezentral in Wohnungen.
Eine gemeinsame öffentliche Erinnerung der Stadtgesellschaft an die Ausschreitungen gibt es nicht. Heidenaus Bürgermeister Jürgen Opitz (CDU) hatte damals von einem tiefen Riss gesprochen, der durch die Stadt gehe. Klare Worte hatte er auch zu den Ausschreitungen gefunden: "Hass und Verblendung sitzen so tief, dass es schwer ist, diese Menschen zu erreichen."
Fünf Jahre später will er sich zu den Krawallen nicht mehr äußern. Dem CDU-Politiker, der im vergangenen Jahr als Bürgermeister wiedergewählt wurde, war 2015 wegen seines Engagements für Flüchtlinge von Rechtsextremen Gewalt angedroht worden.
Um gesellschaftlichen Dialog bemüht
"Die Ausschreitungen sind vor Ort kein Thema mehr", sagt auch Angela Tomalka, Referentin bei Aktion Zivilcourage Pirna. Sie betreut Integrationsprojekte in Heidenau. Von den Teilnehmenden bekomme sie gute Rückmeldungen. Sie fühlten sich wohl in Heidenau, schätzten die Stadt als Lebens- und Alltagsort.
Bürgermeister Opitz hat sich früh um gesellschaftlichen Dialog bemüht. Die Stadt unterstützte ein Projekt von Hüseyin Arda. Der deutsch-türkische Metallkünstler installierte nur wenige Wochen nach der Randale mitten in Heidenau den 15 Meter langen Schriftzug "Miteinander". Eine Wortskulptur als Zeichen der Toleranz - 1,5 Tonnen schwer und mehr als zwei Meter hoch.
Fast sieben Monate blieb sie im öffentlichen Raum. Heidenauer haben ihre Gedanken auf die elf Riesenbuchstaben aus Stahl gesprüht. Die Interaktion war vom Künstler gewollt. Schablonen wurden hergestellt - für das Wort "Miteinander" in 18 Sprachen.
Noch fünf Strafverfahren anhängig
Die Skulptur habe erfüllt, was sie beabsichtigt hatte, sagt Arda heute im Rückblick, sie regte tatsächlich zu Gesprächen an. Es habe sehr viel Resonanz gegeben und es sei kontrovers diskutiert worden, aber eben friedlich. Als die Wort-Skulptur komplett in den NS-"Reichsfarben" schwarz-weiß-rot übersprüht wurde, habe er Nachrichten erhalten, dass das Kunstwerk geschändet worden sei. Doch, "Rechtsextremisten, die malen, sind ungefährlich", findet Arda.
Die juristische Aufarbeitung der Ausschreitungen vor fünf Jahren hält indes an. Laut der Sprecherin der Generalstaatsanwaltschaft Dresden, Nicole Geisler, sind noch fünf Strafverfahren gegen insgesamt zwölf Angeklagte anhängig. Darunter seien zehn Personen bereits verurteilt, aber noch nicht rechtskräftig.
Insgesamt sind laut Geisler 77 Ermittlungsverfahren geführt worden. Die Vorwürfe lauteten unter anderem: schwerer Landfriedensbruch, gefährliche Körperverletzung und Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. 31 Angeklagte wurden Geisler zufolge rechtskräftig verurteilt.
Pfarrerin Gustke sagt: Viele Heidenauer ärgert es, dass ihre Stadt beim Thema Ausländerfeindlichkeit immer wieder mit genannt wird. "Allerdings", räumt die Theologin ein, "kann Heidenau auch nicht mit einer beeindruckenden Integrationskampagne glänzen, die ein positives Image befördern würde."