"Wenn es regnet", sagt Walter Becker, "dann haben wir ein riesiges Problem." Während die ganze Republik noch unter Trockenheit und Sommerhitze ächzt, denkt der Pfarrer aus der Südwestpfalz bereits an einen scheinbar weit entfernten Termin, der ihm dennoch viel Kopfzerbrechen bereitet. Wenn es nämlich regnet, würde es kompliziert werden mit dem Heiligabend-Gottesdienst auf dem Dorfplatz. In gut vier Monaten ist Weihnachten, und selbst in normalen Jahren beginnen Kirchengemeinden meist lange im Voraus mit den Vorbereitungen. Chöre und Bläsergruppen starten mit den Proben für ihre Auftritte, Texte für das Krippenspiel werden gesichtet. Doch 2020 ist nichts normal.
Wegen der Coronavirus-Pandemie müssen sich die Kirchen unter ganz anderen Bedingungen auf die Adventszeit und Heiligabend vorbereiten - ohne, dass jemand weiß, wie sich die Corona-Krise bis Dezember noch weiterentwickeln wird. Der rheinische Präses Manfred Rekowski warnte schon im Juli, Weihnachten werde 2020 "sicherlich nicht so sein wie in all den Jahren zuvor". Viele Gemeinden konnten bisher aufgrund der Infektionsschutzmaßnahmen und des Verbots von Großveranstaltungen noch nicht einmal die diesjährigen Konfirmationsgottesdienste feiern, die eigentlich im Frühjahr geplant waren.
Manche Pfarrerinnen und Pfarrer haben bereits mit Entsetzen ausgerechnet, dass sie wohl zehn oder mehr Heiligabend-Gottesdienste nacheinander feiern müssten, wenn die üblichen Besuchermengen coronakonform in ihren Kirchen platziert werden sollen. Die zuletzt wieder gestiegenen Neuinfektionszahlen dämpfen den Optimismus, neue Erkenntnisse zur Verbreitung der Viren stimmen die Verantwortlichen zusätzlich skeptisch. Wenn Aerosole tatsächlich so gefährlich sind, wie Forscher vermuten, brauche man über gemeinsames Singen nicht weiter nachzudenken, sagt Jens-Peter Iven, Sprecher der rheinischen Landeskirche: "Und es wäre dieses Mal wirklich eine Stille Nacht, Heilige Nacht."
Neben den bereits bekannten Risiken erschweren auch neue Aspekte die Weihnachtsvorbereitungen - beispielsweise die Angst, dass die in Kirchen weit verbreiteten Umluftheizungen sich als Virenschleudern erweisen. Wie gewohnt zu heizen wäre ohnehin kaum möglich, wenn Kirchenräume regelmäßig durchgelüftet werden müssen.
Weihnachten im Stadion
Populär sind daher Überlegungen für Freiluft-Gottesdienste. Die hessen-nassauische Landeskirche empfiehlt ihren Gemeinden in einem aktuellen Papier, auch Markt- und Sportplätze könnten für Open-Air-Gottesdienste infrage kommen. Eine mögliche Alternative wären auch "Waldweihnachten", die mit Forstämtern und Pfadfinder-Gruppen zusammen organisiert werden könnten. Anderenorts sind die Verantwortlichen sogar schon weiter: Der Kirchenkreis Cottbus hat bereits erste Vorgespräche über die Anmietung des örtlichen Fußballstadions geführt.
"Weihnachten ist ein Fest, das einer Rückreise in vertraute Kindheitszeiten gleichkommt", erklärt Kristian Fechtner, Professor für Praktische Theologie an der Universität Mainz. Das Gefühl von Vertrautheit werde sich in Stadien aber nur schlecht einstellen, gibt er zu bedenken. Was ihm als Lösung für das Fest-Dilemma vorschwebt, nennt er "Unterwegs-Weihnachten".
Der Gang zur Krippe
Posaunenchöre könnten durch die Wohngebiete ziehen. Anstelle des einen zentralen Krippenspiels könnten mehrere über den Ort verteilte Stationen aufgebaut werden, an denen die Kirchgänger vorbeikommen. Die Kirche selbst könnte auf die üblichen Großgottesdienste komplett verzichten, stattdessen den ganzen Tag über mit den Besuchern "kleinere liturgische Feiern" abhalten und sie mit einer kleinen Weihnachtsgabe wieder gehen lassen. Auf jeden Fall sollten Familien, die zu Hause Weihnachten feiern, einen Anreiz bekommen, das Haus zu verlassen. "Der Gang zur Krippe wäre für mich ein Leitmotiv", sagt der Theologe.