Christliche Entwicklungsarbeit durch "Hilfe für Brüder"
Hilfe für Brüder
Was nach eine Wettstreit aussieht ist Versöhnungsarbeit in Sri Lanka. Für Ulrich Weinhold ist bewegend, dass viele Menschen in Sri Lanka, die nach dem Bürgerkrieg in der Versöhnungsarbeit aktiv sind, aus Bibelschulen kommen, die "Hilfe für Brüder" im Bürgerkrieg unterstützt hat.
"Die Religion wurde in der Entwicklungspolitik neu entdeckt"
Die wichtige Rolle von Religionen in der Entwicklungspolitik unterstreicht Ulrich Weinhold, 14 Jahre lang Leiter des Gesamtwerkes von Hilfe für Brüder, CFI und Co-Workers International, im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst. Gerade in Corona-Zeiten sei es wichtig, dass Entwicklungshelfer nicht zu Hause, sondern vor Ort sind.

Herr Weinhold, 14 Jahre lang waren Sie Direktor des Gesamtwerkes Hilfe für Brüder, Christliche Fachkräfte (CFI) und Co-Workers International. Was ist Anliegen dieser Werke?

Ulrich Weinhold: Wir sind ein Gesamtwerk, das in vier Zweigen arbeitet. Wir haben Hilfe für Brüder, das seit 1980 weltweit christliche Initiativen finanziell unterstützt, sowie Christliche Fachkräfte international (CFI) für die Entsendung von Fachleuten im Entwicklungsdienst. Hinzu kommt der Jugend-Freiwilligendienst Co-Workers und seit einigen Jahren ChanceMent, eine Praktikumsplattform, in der junge Leute ihre Masterarbeit oder ihr Pflichtpraktikum in einem unserer Projekte absolvieren können. Was uns eint: einheimische Gemeinden in Entwicklungsländern zu unterstützen.

In den 80er-Jahren wurde "Hilfe für Brüder" als Alternative zu "Brot für die Welt" gegründet, was Anfangs auch für Konflikte und theologische Diskussionen sorgte. Wie ist das Verhältnis heute?

Weinhold: Heute gibt es nicht mehr das "Hauen und Stechen" der 80er Jahre, wo die einen als "Pietkong" und die anderen als "Bibelverräter" oder anders beschimpft wurden. Es ist ein hochprofessionelles, kollegiales Zusammenarbeiten geworden mit dem Wissen um gewisse Unterschiede. CFI ist nun ein wirklich gleichberechtigter Entwicklungsdienst neben "Brot für die Welt".

Und auch im Bundesministerium für Entwicklungszusammenarbeit (BMZ) hatten wir Konstellationen, die uns geholfen haben. Beispielsweise ist dort aufgefallen, dass unsere CFI- Entwicklungshelfer für durchschnittlich 75 Prozent weniger Geld als Mitarbeiter der staatlichen "Vorfeldorganisationen" arbeiten, weil wir mehr auf intrinsische Motivation (Anm. der Redaktion: aus eigenem Antrieb heraus) setzen und auch zu einem großen Teil mit Spenden finanziert werden. Außerdem wurde das Thema Religion in der Entwicklungspolitik völlig neu "entdeckt".

"Die Kirche stellte mit Hilfe der Vereinten Nationen Ausweise aus"

Inwiefern?

Weinhold: Religion ist vielleicht in unserer säkularisierten Welt im konsumorientierten Westen am Zurückgehen, aber in anderen Teilen der Welt von großer Bedeutung. Ein Staatssekretär erzählte mir, dass er in ein islamisches Land reiste, um einen Brunnen zu eröffnen, den die staatliche GIZ gebaut hatte, und der Imam des Ortes ihm sagte: "Sie kommen aus Deutschland und sind Christ, wenn Sie bei der Eröffnung zuerst beten wollen, können Sie das gerne machen, ich schließe mich dann an" - ein selbstverständlicher Umgang mit Glauben und Bekenntnis, den wir hierzulande kaum noch kennen.

Das bedeutet, die "religiöse Musikalität" Ihres Werkes wird in der Entwicklungszusammenarbeit zunehmend geschätzt?

Weinhold: Ja, und die Verbundenheit und Zusammenarbeit mit einheimischen Kirchen, die in der Entwicklungszusammenarbeit oft vorteilhafter ist, als direkt mit Regierungen zusammenzuarbeiten. Zum Beispiel gibt es im Ostkongo keine staatliche Struktur mehr. Die einzigen Organisationen, die funktionieren, sind die Kirchen. Als ich im Ostkongo war, ging es darum, die Wahlen zu organisieren. Die Kirche erfasste die wahlberechtigten Menschen und erstellte mit Hilfe der Vereinten Nationen Ausweise und Fingerscans - für manche Menschen der erste formelle Existenznachweis nach über 20 Jahren.

"Aber auch das ist ja alles in Gottes Hand"

Lässt sich weltanschauliche Neutralität, die bei vielen Projekten gefragt ist, und christlicher Glaube vereinbaren?

Weinhold: Wir wollen unser Christsein nicht verstecken und beantragen deshalb keine EU-Gelder, bei denen eine solche weltanschauliche Neutralität gefordert wird. Ebenso wie die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die Katholiken sind wir beim BMZ im Kirchenreferat angesiedelt. Das heißt: Wir erhalten Gelder, um ausschließlich mit evangelischen Kirchen zusammenzuarbeiten. So ist es im Bewilligungsbescheid des Bundes vorgegeben.

Zu Besuch in Pjöngjang. Ulrich Weinhold freut sich besonders darüber, die einzige private Universität in Nordkorea durch seine Hilfsorganisation mit aufgabut zu haben.

Heute betreut das Gesamtwerk 800 Projekte in 100 Ländern. Was hat sich in den letzten 14 Jahren alles getan?

Weinhold: Worüber ich mich besonders freue, ist, dass wir im nordkoreanischen Pjöngjang die einzige private Universität im Land mit aufbauen konnten. Bewegend war für mich auch zu sehen, dass viele Menschen in Sri Lanka, die jetzt nach dem Bürgerkrieg in der Versöhnungsarbeit aktiv sind, aus Bibelschulen kommen, die wir im Bürgerkrieg unterstützt haben. CFI arbeitet auch mit Tobias Merkle vom Hoffnungshaus in Leonberg zusammen in Kolumbien, wo 7000 Guerillas die Waffen niedergelegt haben und nun wieder in die Gesellschaft eingegliedert werden müssen - ein hochkomplexer politischer Prozess, bei dem unsere Fachleute gefragt sind.

Wir haben nun als Werk insgesamt 50 Prozent mehr Umsatz und im Entwicklungsdienst demnächst doppelt so viele Mitarbeiter im Ausland, wenn uns Corona keinen "Strich durch die Rechnung" macht - aber auch das ist ja alles in Gottes Hand.

Wie erleben Sie die Situation in den Ländern seit der Corona-Krise?

Weinhold: Wir haben in Afrika eine totale Verknappung von Lebensmitteln, weil dort vieles auf informellen Märkten stattfindet, die die Polizei wegen der Pandemie geschlossen hat. Wo bei uns der Staat Hilfspakete schnürt, ist in vielen Entwicklungsländern die Familie auf sich allein gestellt. Hinzu kommen in Ostafrika Heuschreckenschwärme. Auch hier versuchen unsere Mitarbeiter zu zeigen, wie mit einfachem Biodünger die Produktivität des Bodens erhöht werden kann und mit Gewächshäusern oder "Frühbeeten" durch Laubabdeckung wenigstens für etwas Ernte gesorgt wird. Die Menschen dort sind durch Mangelernährung körperlich auch geschwächter: Wenn auf eine Landwirtschaftskrise eine Heuschreckenplage folgt, die dann auch noch von einer Corona-Krise überlagert wird, dann sollten wir dieses Problem ganzheitlich sehen. Es reicht einfach nicht, einige abgepackte Nahrungsmittel mit Bundeswehrflugzeugen rüberzuschicken und zu denken, damit wird schon wieder alles gut.

Höre ich da eine Kritik an der deutschen Entwicklungszusammenarbeit heraus?

Weinhold: Ich habe den Eindruck, Entwicklungsministerium und Auswärtiges Amt sind gerade im Sicherheitsmodus: Hauptsache, das Botschaftspersonal und die Entwicklungshelfer sind sicher zu Hause - jetzt, wo man sich aus entwicklungspolitischer Sicht doch gerade proaktiv in die Krise begeben sollte.

"Deshalb wollte ich die beste Zeit meines Lebens Gott zur Verfügung stellen"

Aber ist das bei Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht auch so?

Weinhold: Wir haben alle Jugendlichen zurückgeholt, weil sie in staatlichen Programmen sind. Von unseren 65 Entwicklungshelfern sind sechs wegen gesundheitlicher Dispositionen zurück, aber alle anderen sind in ihren Ländern geblieben. Beispielsweise berät eine Mitarbeiterin Prostituierte in Nicaragua. Eine dieser Frauen sagte ihr, als sie diese wegen Corona-Sicherheitsmaßnahmen schulte: "Du weißt schon, dass die Freier mehr zahlen, wenn sie ungeschützten Verkehr bekommen?" Eine andere Prostituierte erzählte ihr, dass ihr Ehemann sie verprügelt, wenn sie nicht fünf Dollar nach Hause bringt. In solchen Situationen müssen wir Angebote machen, Leute seelsorgerlich begleiten, für ihre Rechte einstehen und dafür sorgen, dass nicht auf dem Rücken der Zivilgesellschaft politische oder wirtschaftliche Themen ausgetragen werden.

Nun zu Ihnen persönlich: Sie haben die Gesamtleitung abgegeben, aber werden noch zwei Jahre weiter als beratender Anwalt im Werk arbeiten - warum diese Entscheidung?

Weinhold: Ich möchte, dass es zu einem guten Übergang kommt und meine Expertise bis zur Bundestagswahl 2021 einbringen. Voraussichtlich werden sich da wieder einige Parameter verschieben, die auch unser Werk betreffen.

Und was planen Sie danach?

Weinhold: Zu DDR-Zeiten durfte ich damals kein Abitur machen und habe deshalb mit 1,0 eine Maurerlehre abgeschlossen. Dass ich dann nach der Wende doch noch studieren konnte, ist für mich ein Geschenk. Deshalb wollte ich die beste Zeit meines Lebens Gott zur Verfügung stellen. Noch ist nicht klar, wie es in zwei Jahren weitergeht: Nochmal ins Ausland? Oder andere Werke beraten? Jetzt mache ich im September erst einmal Praktikum im Deutschen Bundestag, und dann sehen wir weiter.