Frankfurt a.M. (epd). Das seit fünf Monaten geltende Fachkräfteeinwanderungsgesetz hat wegen der Corona-Pandemie bislang kaum Wirkung entfaltet. Von April bis Juni dieses Jahres erhielten 2.353 Fachkräfte aus dem Ausland ein Arbeitsvisum für die Einreise nach Deutschland, wie der Evangelische Pressedienst (epd) aus dem Auswärtigen Amt erfuhr. Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration hält das seit 1. März geltende Gesetz bislang für "weitgehend wirkungslos", die Migrationsexpertin Bettina Offer sieht die Fachkräfteeinwanderung praktisch zum Erliegen gekommen.
Durch die Coronabeschränkungen ab Mitte März haben ausländische Fachkräfte erst mit einem Beschluss des Bundeskabinetts vom 1. Juli wieder die Chance, mit einem konkreten Jobangebot nach Deutschland einzureisen. Vor diesem Hintergrund können für solche Fälle grundsätzlich wieder Visa erteilt werden, hieß es aus dem Auswärtigen Amt. Allerdings könnten die deutschen Auslandsvertretungen in manchen Ländern nur eingeschränkt oder im Notbetrieb arbeiten.
Migrationsexpertin Offer, die Unternehmen beim Fachkräftezuzug berät, unterstrich, die Firmen benötigten gerade für den Neustart dringend Facharbeiter. Zwar rechnet sie damit, dass mit den Lockerungen seit Anfang Juli mehr Fachkräfte ins Land kommen werden. "Es braucht aber etwas Zeit, bis das System wieder anfährt." Die Gefahr neuer Corona-Einschränkungen bleibe zudem weltweit bestehen. "Wenn Länder in den Lockdown gehen, ist keine Bewegung möglich."
Dagegen erwartet der stellvertretende Geschäftsführer des Sachverständigenrats, Holger Kolb, durch Kurzarbeit und mögliche Entlassungen eine eher sinkende Nachfrage nach ausländischen Facharbeitern. Lediglich bei den Heil- und Pflegeberufen sieht er ein "strukturelles Grundbedürfnis", das sich durch Corona noch verstärkt habe. Langfristig sieht er aber die Nachfrage wieder steigen, - "wenn sich die wirtschaftliche Lage erholt hat". Dann sollten die Akteure unabhängig von Corona über die Stärken und Schwächen des Gesetzes beraten.
Das von Hubertus Heil (SPD) geführte Bundesarbeitsministerium erklärte auf epd-Anfrage, strukturelle Reformen, vor allem die Einrichtung zentraler Ausländerbehörden, die Digitalisierung und weitere Verfahrensvereinfachungen seien unabhängig von der momentanen Lage notwendig und würden weiter vorangetrieben. Wie viele Fachkräfte mit Visa bislang im Rahmen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes tatsächlich nach Deutschland gekommen sind, ist einem Sprecher zufolge noch nicht bekannt. Er zeigte sich aber überzeugt, dass sich das Gesetz mittelfristig bewähren werde. Bei den Gesundheits- und Pflegeberufen machten sich die Verbesserungen bei der beruflichen Anerkennung und dem beschleunigten Fachkräfteverfahren schon jetzt bemerkbar.
Laut Arbeitsministerium sind im April 2020 knapp zwei Millionen Menschen aus Drittstaaten und rund 4,2 Millionen Ausländer insgesamt in Deutschland sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Diese Zahl habe sich in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt. Eine erste Einschätzung, wie sich diese Zahl und die Fachkräfteeinwanderung unter Corona entwickelt haben, will das Arbeitsministerium im Herbst vorlegen.
Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz trat zum 1. März dieses Jahres in Kraft. Es will die Zuwanderung von Fachkräften aus Nicht-EU-Ländern erhöhen und ermöglicht auch Menschen mit Berufsausbildung, mit einem Job-Angebot in der Tasche ein Arbeitsvisum für Deutschland zu beantragen. Bislang galt dies mit Ausnahmen nur für Akademiker. Voraussetzung sind die Anerkennung des Berufsabschlusses und deutsche Sprachkenntnisse. Auch eine befristete Einreise zur Arbeitssuche ist möglich.
Um den inländischen Arbeitsmarkt zu schützen, enthält das Gesetz eine Verordnungsermächtigung, mit der Bundesarbeitsminister Heil eine Vorrangprüfung auch bei Fachkräften "sehr schnell" einführen kann, wie das Bundesinnenministerium mitteilte. Die Vorrangprüfung soll klären, ob für Fachberufe inländische Arbeitnehmer zur Verfügung stehen. Eine solche Prüfung sei auch begrenzt für bestimmte Beruf oder Regionen möglich, hieß es.