Margot Käßmann wurde als erste Frau zur Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland gewählt.
© epd-bild/Norbert Neetz
Durch die Corona-Pandemie "ist uns neu die Sehnsucht bewusstgeworden, andere Menschen mal in den Arm zu nehmen und nicht isoliert zu leben", sagt die ehemalige Ratsvorsitzende der EKD und Buchautorin Margot Käßmann.
"Corona-Krise hat Wertschätzung für Freundschaften gesteigert"
Die Theologin Margot Käßmann im Gespräch zum Internationalen Tag der Freundschaft
Die Corona-Pandemie hat nach Ansicht der evangelischen Theologin Margot Käßmann auch zu einer größeren Wertschätzung von Freundschaften geführt. Die während der Corona-Krise verstärkt über das Internet oder Telefon gepflegten Kontakte könnten persönliche Begegnungen nicht ersetzen, sagte Käßmann angesichts des internationalen Gedenktags am 30. Juli, der an die Bedeutung von Freundschaften erinnern soll.

Für die frühere hannoversche Landesbischöfin, die über das Thema auch ein Buch verfasst hat, sind Freundschaften neben der Familie tragende Kräfte. Im epd-Gespräch fordert die ehemalige Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, dass diese Beziehungen auch von der Kirche stärker thematisiert werden sollten.

epd: Wie hat sich die Corona-Pandemie auf Freundschaften ausgewirkt?

Margot Käßmann: Ich denke, die Wertschätzung von Beziehung ist gestiegen in der Corona-Zeit. Viele haben sich durch Telefonate und Briefe mehr umeinander gesorgt. Uns ist neu die Sehnsucht bewusstgeworden, andere Menschen mal in den Arm zu nehmen und nicht isoliert zu leben. Viele Menschen haben mir geschrieben, dass sie eine große Einsamkeit gespürt haben. Dem kann jeder durch Beziehungspflege vorbeugen. Vieles läuft heute digital und online ab, aber das ist eben doch etwas völlig anderes, als sich persönlich zu treffen und auszutauschen.

Warum ist ein Gedenktag für Freundschaft so wichtig?

Käßmann: Freundschaft wird meiner Meinung nach zu wenig thematisiert. Ich finde es schade, dass gelebte Freundschaft von bekannten Persönlichkeiten selten zu sehen ist. Auch die Kirche befasst sich bislang nicht mit einer Theologie der Freundschaft. Dabei spielt diese in der Bibel ja eine große Rolle. Es wird meines Erachtens unterschätzt, dass Jesus so starke Beziehungen gelebt hat. Sein öffentliches Auftreten hat er immer in Gemeinschaft gestaltet. So könnten die Jüngerinnen und Jünger ja auch als seine Freundinnen und Freunde bezeichnet werden. Er hat mit Menschen gegessen, getrunken, über Gott und die Welt gesprochen. In der Bibel steht gleich im ersten Buch Mose, es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei. In der Kirche wird dies oft bei Trauungen genutzt und auf die Ehe bezogen. Aber die Bibel spricht da eine Lebenserfahrung aus: Es ist gut in Beziehung zu leben. Daher könnten auch die Kirchen mehr Angebote für Freundinnen und Freunde schaffen. Wir gestalten ja inzwischen Valentinstagsgottesdienste: Warum nicht auch Freundschaftsdienste?

Warum ist der Mensch auf Freundschaften angewiesen?

Käßmann: Wir brauchen Orte, an denen wir vertraulich reden können. Neben der Familie sind Freundschaften tragende Kräfte. Eine Partnerschaft kann nie alles an Beziehung und Vertrautheit erfüllen. Das überlastet sie, denke ich. Und ich bin auch überzeugt, dass Freundschaften das Leben stabilisieren.

Was zeichnet Freundschaft aus?

Käßmann: Eine Studie hat gezeigt, dass es mindestens 200 Stunden real miteinander verbrachte Zeit braucht, um wirklich zu besten Freunden zu werden. Ich denke, die Zeit und Erfahrung miteinander und auch eine Freude am Zusammensein auf Augenhöhe sind wichtig. Wenn jemand den Besuch der Freundin eher als Pflicht sieht, wäre das keine gute Freundschaft. Außerdem ist Vertrauen existenziell für eine Freundschaft. Mal gibt der eine mehr in diese Beziehung hinein, mal die andere, aber das muss sich über die Jahre auch wieder ausgleichen. Ein ständiges Gefälle hält eine Freundschaft nicht aus.

Inwieweit verändert Digitalisierung unser Verständnis von Freundschaft?

"Für viele ist es eine reine Illusion, in sozialen Netzwerken 500 Freunde zu haben"

Käßmann: Eine gewisse Zeit können wir auch Beziehungen zu Freundinnen digital pflegen, wenn es nicht möglich ist, sich zu sehen. Bei jemandem, den du digital kennenlernst, weißt du im wahrsten Sinne des Wortes nicht, ob du ihn gut riechen kannst. Eine physische Begegnung ist noch etwas anderes. Für viele ist es eine reine Illusion, in sozialen Netzwerken 500 Freunde zu haben. Eine Freundin ist jemand, die Du nachts um ein Uhr anrufen kannst, weil es dir schlechtgeht und sie kommt vorbei.

Wie lassen sich denn wahre Freunde denn erkennen?

Käßmann: Echte Freunde halten zueinander, ganz egal, wie das Leben sich dreht. Falsche Freunde wollen von der Beziehung profitieren. Paris Hilton hat beispielsweise per Fernseh-Show in den USA nach einer besten Freundin gesucht und dabei Vertraulichkeiten ihrer ehemaligen Freundinnen ausgeplaudert. Mit so jemandem möchte ich erst gar nicht befreundet sein.

Gibt es grundlegende Unterschiede zwischen Männer- und Frauen-Freundschaften?

"Freundschaften enden selten mit einem Knall"

Käßmann: Es ist auch wissenschaftlich erwiesen, dass Frauen sehr viel schneller über persönliche Themen sprechen. Ich denke, das hängt auch mit der Körperlichkeit von Frauen zusammen. Sie sind durch Menstruation, Schwangerschaft und Klimakterium sehr stark betroffen und tauschen sich darüber aus. Männer müssten in ihrer Freundschaft auch mal über Sexualität reden und das tun sie in der Regel nicht. Sie reden eher über Sport oder über ihren Beruf, aber sie haben mehr Mühe, über ihre Gefühle zu sprechen. Das ist auch in Partnerschaften oft ein Problem.

Manche Freundschaften enden durch "Ghosting", also jemanden, der kommentarlos aus dem Leben des anderen verschwindet. Wie und warum gehen Freundschaften zu Ende?

Käßmann: Ich finde das Ghosting ziemlich brutal. Das zeigt ja, dass du über den anderen eigentlich gar nichts weißt. Freundschaften können schon enden, aber sie plätschern nach meiner Erfahrung meistens so aus, weil die gemeinsamen Themen fehlen, weil sich Lebensumstände ändern oder weil die inhaltliche Ausrichtung überhaupt nicht mehr übereinstimmt. Das finde ich okay. Aber Freundschaften enden selten mit einem Knall. Es gibt Freundinnen, die bleiben über Jahrzehnte und dann gibt es Freundschaften auf einem Lebensabschnitt. Das finde ich auch nicht despektierlich, sondern das ist Teil des Lebens, ein Stück des Weges zusammenzugehen und dann geht es in unterschiedlichen Richtungen weiter.

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