Berlin, São Paulo (epd). Brasilianische Gewerkschaften haben Präsident Jair Bolsonaro vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen Menschenrechtsverbrechen während der Corona-Pandemie angezeigt. Sie werfen ihm vor, Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung in der Pandemie unterlassen zu haben und damit mitverantwortlich für den Tod von Zehntausenden Menschen zu sein, wie die Tageszeitung "Estado de São Paulo" am Sonntagabend (Ortszeit) berichtete. Dieses unverantwortliche Verhalten verstoße gegen die Richtlinien der internationalen Gesundheitsbehörden und sei ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, heißt es in der Anzeige. Das Gewerkschaftsbündnis repräsentiert mehr als eine Million Mitglieder.
Sie werfen Bolsonaro vor, die Bevölkerung und die Mitarbeitenden im Gesundheitswesen bewusst einem hohen Risiko ausgesetzt und auch ihren Tod in Kauf genommen zu haben. Es ist bereits die dritte Anzeige gegen Bolsonaro vor dem Internationalen Strafgerichtshof. Bolsonaro hatte mehrfach öffentlich die Corona-Pandemie als "kleine Grippe" und Inszenierung der Medien bezeichnet und sich den von den Gouverneuren verhängten Quarantäne-Maßnahmen widersetzt. Innerhalb weniger Wochen hatten zwei Gesundheitsminister, beide Ärzte, im Streit mit Bolsonaro über das Krisenmanagement die Regierung verlassen. Seit mehr als zwei Monaten wird das Gesundheitsministerium übergangsweise von einem Militär ohne medizinische und administrative Vorkenntnisse, General Eduardo Pazuello, geführt.
Bolsonaro, der selbst mit Covid-19 infiziert war, gab am Sonntag via Twitter bekannt, die Infektion überstanden zu haben und negativ getestet worden zu sein. Kurze Zeit später zeigte er sich vor seinen Anhängern ohne Maske.
Derweil breitet sich das Virus weiter ungebremst in Brasilien aus. Inzwischen ist das südamerikanische Land nach den USA am schwersten von der Pandemie betroffen. Bis zum Wochenende hatte sich die Zahl der Corona-Toten dort nach Angaben des Gesundheitsministeriums auf mehr als 87.000 erhöht. Mehr als 2,4 Millionen Menschen seien mit dem Virus infiziert, heißt es. Experten gehen allerdings von einer rund sieben Mal höheren Zahl aus, da Brasilien über sehr wenig Testkapazitäten verfügt.