Osnabrück (epd). Viele Kinder und ihre Eltern haben nach Einschätzung des Bielefelder Kinderarztes Rainer Böhm mit der coronabedingten Betreuung zu Hause gute Erfahrungen gemacht. Zahlreiche Familien hätten den Wegfall von Pflichtterminen sowie den Zuwachs an Ruhe und Selbstbestimmung im Tagesablauf als sehr positiv erlebt, sagte der Leitende Arzt am Sozialpädiatrischen Zentrum des Evangelischen Klinikums Bethel der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Montag). "Dieses permanente Gefühl des Auf-Kante-genäht-Seins ist eine erhebliche Belastung für Kinder und Eltern. Die neue Freiheit, die plötzlich da war, hat sich vielfach positiv ausgewirkt."
Der Aufenthalt in der Kindertagesstätte bedeute für Kinder unter drei Jahren einen enormen Stress mit häufig negativen Folgen für ihr soziales Verhalten und ihre gesamte Entwicklung. Der Mediziner kritisierte: "Die Kinder kommen heute zu früh in die Betreuungseinrichtungen und sie verbringen dort zu viel Zeit." Unter Dreijährige seien noch nicht bereit für eine Betreuung in größeren Gruppen. Sie seien noch stark auf die "familiäre Bindungssicherheit" angewiesen.
Zudem bräuchten auch Kinder die Möglichkeit, ihren Alltag selbst zu gestalten, sagte Böhm. "Wir haben in den öffentlichen Einrichtungen meist ein sehr strukturiertes Angebot. Kinder können sich da nicht ohne weiteres herausziehen, um individuell zu spielen oder sich in etwas zu vertiefen, ohne Anforderungen von außen." Dies sei in der Corona-Zeit, in der viele Kinder keine Betreuungseinrichtungen besuchen konnten, anders gewesen.