Rheda-Wiedenbrück, Braunschweig (epd). Unter Bedingungen wie im Tönnies-Schlachtbetrieb in Rheda-Wiedenbrück verbreitet sich das Corona-Virus über eine weitere Distanz als bisher angenommen. Ausgehend von einem einzigen Tönnies-Mitarbeiter wurde im Mai das Virus auf weitere Beschäftigte in einem Umkreis von mehr als acht Metern übertragen, wie eine am Donnerstag veröffentlichte Studie ergab. Mehr als 2.100 Corona-Infektionen stehen nach Angaben des nordrhein-westfälischen Gesundheitsministers Karl-Josef Laumann (CDU) im Zusammenhang mit dem Tönnies-Schlachthof. Bei weiteren 67 Fällen gelte ein Zusammenhang als möglich, sagte Laumann der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Donnerstag).
"Von den sicher dem Ausbruch zuzuordnenden Fällen sind meiner Kenntnis nach insgesamt 41 Personen stationär versorgt worden. Verstorben ist bisher offenbar zum Glück niemand", sagte Laumann. Die Lage im Kreis Gütersloh, in dem der Schlachthof liegt, habe sich beruhigt.
Die Bedingungen des Zerlegebetriebs spielen eine entscheidende Rolle bei den auftretenden Ausbrüchen in Fleisch- oder Fischverarbeitungsbetrieben, wie das an der Studie beteiligte Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig mitteilte. Die hauptsächliche Übertragung habe im Zerlegebereich für Rinderviertel stattgefunden, wo Luft umgewälzt und auf zehn Grad Celsius gekühlt werde, sagte der Braunschweiger Professor Adam Grundhoff. Zudem gebe es eine geringe Frischluftzufuhr, und es werde anstrengende körperliche Arbeit geleistet. "Unter diesen Bedingungen ist ein Abstand von 1,5 bis drei Metern alleine ganz offenbar nicht ausreichend, um eine Übertragung zu verhindern." Die Wohnsituation der Arbeiter spielte der Studie zufolge während der untersuchten Phase des Ausbruchs keine wesentliche Rolle.
Die Braunschweiger Virologie-Professorin Melanie Brinkmann sagte, die Studie beleuchte Sars-CoV-2-Infektionen in einem Arbeitsbereich, in dem verschiedene Faktoren aufeinandertreffen, die eine Übertragung über relativ weite Distanzen ermöglichten. "Es stellt sich nun die wichtige Frage, unter welchen Bedingungen Übertragungsereignisse über größere Entfernungen in anderen Lebensbereichen möglich sind."
Laumann sagte, die Gesundheit von Arbeitnehmern hänge eng mit Arbeitsschutz und Wohnkultur zusammen. Er erwarte, dass das von der Bundesregierung angekündigte Verbot der Werkverträge in der Fleischindustrie umgesetzt wird. "Viele Politiker, auch in meiner Partei, die ja bislang durchaus kritisch waren, sagen: Jetzt reicht es", erklärte der Minister.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat angekündigt, das Werkvertragssystem in der Fleischindustrie zum 1. Januar 2021 zu beenden. Zudem sollen Bußgelder bei Arbeitszeitverstößen erhöht und die Kontrollen verschärft werden. Heil will noch in diesem Monat einen Gesetzentwurf vorlegen.