Gütersloh, Berlin (epd). Trotz guter Konjunktur in jüngster Vergangenheit erlebt laut einer aktuellen Analyse der Bertelsmann Stiftung jedes fünfte Kind in Deutschland Armut. Das seien 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren, erklärte die Stiftung am Mittwoch in Gütersloh. Fast jedes siebte Kind (13,8 Prozent) erhält demnach Leistungen der Grundsicherung. Die Corona-Krise verschärfe die Kinderarmut weiter, warnten Experten der Stiftung. Sozial- und Wohlfahrtsverbände sowie Parteien forderten eine einheitliche Kindergrundsicherung.
Eltern von benachteiligten Kindern verlören als Teilzeitbeschäftigte oder als Minijobber in der Corona-Krise häufig als erste ihren Job oder erhielten nur wenig Kurzarbeitergeld, erläuterten Experten der Bertelsmann Stiftung. Auch das Wegbrechen außerhäuslicher Unterstützungsangebote während des Corona-Lockdowns habe Folgen für die bedürftigsten Kinder und Jugendlichen. 24 Prozent der Kinder im Grundsicherungsbezug hätten keinen internetfähigen PC im Haushalt, 13 Prozent keinen ruhigen Platz zum Lernen.
Die Bertelsmann Stiftung forderte eine transparente und Teihabe sichernde Leistung für Kinder und Jugendliche, die Armut vermeide. Kinder gelten laut Studie als arm, wenn sie in Haushalten leben, die über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verfügen oder Leistungen der Grundsicherung erhalten. Grundlage waren aktuelle Auswertungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.
Die Linke und die Grünen sprachen übereinstimmend von einem Armutszeugnis für die Bundesregierung und forderten eine Kindergrundsicherung, mindestens aber eine deutliche Erhöhung der Hartz-IV-Leistungen. Der Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch, warf Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor, in ihrer gesamten Amtszeit keine entscheidende Verbesserung herbeigeführt zu haben. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen, Katja Dörner, erklärte, gut gemeinte Einmalzahlungen wie der Corona-Kinderbonus von 300 Euro in diesem Jahr könnten dies nicht auffangen.
Die SPD verwies demgegenüber auf das bereits Erreichte. Die SPD habe in der Koalition weitere Milliarden für den Ausbau von Kita-Ausbau und Familienleistungen durchgesetzt. Kinderarmut sei "nicht hinnehmbar", erklärte die Vize-Fraktionsvorsitzende Katja Mast. Langfristig strebt auch die SPD eine Kindergrundsicherung an.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband mahnte ebenfalls eine "handfeste Kindergrundsicherung" an, die das Existenzminimum der Kinder abdecke. "Unsere Kinderarmut in Deutschland ist nicht naturgegeben, sondern Ergebnis politischer Unterlassungen", sagte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider, dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Das Deutsche Kinderhilfswerk befürchtet, dass durch die Corona-Krise die Zahl der armen Kinder noch steigen könnte. Kinderhilfswerk-Geschäftsführer Holger Hofmann sagte, arme Familien hätten kein Geld für Nachhilfelehrer und könnten sich kostenpflichtige Lernplattformen nicht leisten: "Daher sollte dringend die Einrichtung eines Sonderfonds geprüft werden, über den Bildungsprogramme für benachteiligte Kinder finanziert werden können."
Auch der Sozialverband VdK mahnte neben einer eigenen finanziellen Absicherung für Kinder mehr Hilfen für den Unterricht an. Damit alle Kinder am digitalen Unterricht teilnehmen könnten, müssten Kindern kostenlos entsprechende Geräte zur Verfügung gestellt werden, forderte VdK-Präsidentin Verena Bentele.
Die Diakonie erklärte, es sei höchste Zeit für einheitliche Kinder-Grundförderung. Außerdem müsse in eine bessere Infrastruktur für Kinder und Familien investiert werden, sagte Maria Loheide, Vorständin Sozialpolitik. Dazu zählten die Ganztagsbetreuung, kostengünstige Freizeitangebote und kostenfreie Schulessen.