Magdeburg (epd). Unter internationalem Medieninteresse hat am Dienstag gut neun Monate nach dem antisemitischen Anschlag von Halle der Prozess gegen den Attentäter begonnen. Die Anklage wirft dem 28-Jährigen Mord in zwei Fällen und versuchten Mord in neun Fällen vor. Ihm droht bei einer Verurteilung eine lebenslange Freiheitsstrafe. Zudem kommt eine anschließende Sicherungsverwahrung in Betracht. Aus einer antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Motivation heraus soll er den Mordanschlag auf Juden in der Synagoge in Halle geplant haben.
Aufgrund des Medienandrangs und der strengen Sicherheitskontrollen startete der erste Verhandlungstag in Magdeburg mit fast zwei Stunden Verspätung. Zunächst wurde die 123 Seiten umfassende Anklageschrift verlesen. Stephan B. erschoss demnach am 9. Oktober 2019 in Halle eine 40 Jahre alte Passantin und in einem Döner-Imbiss einen 20 Jahre alten Mann. Der Angeklagte filmte seine Tat und verbreitete die Aufnahmen per Livestream im Internet, um eine "möglichst breite Wahrnehmung zu erreichen und Nachahmer zu animieren". Zunächst hatte er versucht mit Sprengsätzen und Schusswaffen in die abgeschlossene Synagoge zu gelangen, in der sich zum höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur 52 Gläubige aufhielten. Er scheiterte aber an der Tür.
Um in die Synagoge zu gelangen, nahm er mehrere Anläufe, warf Sprengsätze auf das Gelände und schoss auf die Tür. Schließlich erschoss er eine 40 Jahre alte Passantin. Laut Anklage soll er vier Mal mit einer Maschinenpistole in ihren Rücken geschossen haben, weil er sie für "minderwertig" hielt. Noch auf das am Boden liegende Opfer soll er elf Schüsse abgegeben haben. Als sein Plan, in der Synagoge möglichst viele Menschen zu töten, scheiterte, entschloss er sich, Menschen mit Migrationshintergrund zu töten und fuhr mit seinem Mietauto zu einem nahe gelegenen Döner-Imbiss, wo er einen zweiten Menschen tötete.
Mehrfach zielte er auch auf weitere Menschen, deren Tod offenbar nur mehrere Ladehemmungen seiner Waffe verhinderten. Auf der Flucht feuerte er in Landsberg-Wiedersdorf später auf einen Anwohner und seine Lebensgefährtin und verletzte sie schwer. Der Angeklagte selbst äußerte sich zum Prozessauftakt umfangreich zu seiner Tat und Motivation sowie zu seinen Waffen. Reue ließ er nicht erkennen, legte stattdessen sein rechtsextremistisches, menschenverachtendes Weltbild dar. Einzig weil sein Plan nicht aufging, sehe er sich als "Versager und global lächerlich gemacht".
Auf mehrfache Nachfrage der Vorsitzenden Richterin Ursula Mertens, ob er denn Mitleid und Empathie kenne, sagte er lediglich: "Ich wollte das nicht: Weiße erschießen." Auf die Passantin habe er geschossen, aus einer "Kurzschlussreaktion" heraus. Hätte er seinen Plan nicht weiterverfolgt, hätten ihn seiner Meinung nach "alle ausgelacht".
Fragen zu seiner Kindheit und Familie beantwortete er dagegen eher knapp und einsilbig. Er lebte zuletzt bei seiner Mutter, einer Grundschullehrerin für Ethik, in Benndorf. Sein Interesse gilt nach eigenen Angaben seit dem Teenageralter dem Internet, weil er dort "die Möglichkeit hatte, sich frei zu unterhalten". Er beschreibt sich als unbeliebten Schüler ohne Freunde, der auch später kein soziales Umfeld hatte. Stephan B. sagte vor Gericht, "nach der Flüchtlingskrise 2015 habe ich mich entschieden, nichts mehr für diese Gesellschaft zu tun". Die Vorsitzende Richterin musste den Angeklagten in diesem Zusammenhang zurechtweisen, dass Beschimpfungen anderer Bevölkerungsgruppen nicht geduldet werden. Mit Blick auf Flüchtlinge sprach Stephan B. von "Eroberern aus dem muslimischen Kulturkreis".
Der 28-Jährige erklärte, er sei wütend und habe sich bewusst die Synagoge in Halle als Anschlagsziel ausgesucht und als Tattag den höchsten jüdischen Feiertag ausgewählt. Den Entschluss habe er bereits im April und Mai 2019 gefasst.