Magdeburg (epd). Gut neun Monate nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle hat am Dienstag die Hauptverhandlung gegen den Attentäter Stephan B. begonnen. Wegen des großen Andrangs von Journalisten und der strengen Sicherheitskontrollen am Einlass startete der erste Verhandlungstag in Magdeburg mit fast zwei Stunden Verspätung. Die Bundesanwaltschaft wirft dem 28-jährigen B. zweifachen Mord und versuchten Mord in neun Fällen vor. Der Anschlag auf die Synagoge wird juristisch als ein Mordversuch gewertet.
Der Angeklagte kündigte zu Beginn der Verhandlung an, eine Aussage machen zu wollen. Ihm droht bei einer Verurteilung eine lebenslange Freiheitsstrafe. Zudem kommt eine anschließende Sicherungsverwahrung in Betracht.
Am 9. Oktober 2019 versuchte Stephan B. laut Anklage, sich mit Sprengsätzen und Schusswaffen Zutritt zur Synagoge in Halle zu verschaffen, in der sich 52 Menschen zur Feier des höchsten jüdischen Feiertages Jom Kippur aufhielten. Er scheiterte an der schweren Eingangstür der Synagoge. B. erschoss vor der Synagoge eine 40 Jahre alte Passantin und später in einem Döner-Imbiss einen 20-jährigen Mann.
Er filmte seine Tat und verbreitete die Aufnahmen per Livestream im Internet. Aus einer antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Motivation heraus soll er den Mordanschlag auf Juden in der Synagoge geplant haben.
Die Hauptverhandlung des Staatsschutzsenats am Oberlandesgericht Naumburg findet aus Platzgründen am Magdeburger Landgericht statt. Es wurden insgesamt 43 Nebenkläger zugelassen, die von 21 Rechtsanwälten vertreten werden. Im Sitzungssaal können 44 Journalisten und 50 Zuschauer den Prozess verfolgen. Weitere Presseplätze stehen in einem separierten Raum zur Verfügung.
Zum Prozessauftakt rief der Zentralrat der Juden in Deutschland dazu auf, den Täter mit der vollen Härte des Gesetzes zu bestrafen. Zudem müssten die Hintergründe der Tat lückenlos aufgearbeitet und der Frage nachgegangen werden, ob der Attentäter Unterstützer hatte und in rechte Netzwerke eingebunden war, erklärte Zentralratspräsident Josef Schuster am Dienstag in Berlin: "Es ist unvorstellbar grausam, welchen Judenhass Stephan B. verbreitet hat." Der Anschlag habe die jüdische Gemeinschaft zutiefst erschüttert und traumatisiert. "Was die Menschen an Jom Kippur in der Synagoge von Halle durchleiden mussten, bleibt unvorstellbar", so Schuster.
Zuvor hatte sich auch die frühere Präsidentin des Zentralrates, Charlotte Knobloch, für ein hartes Urteil ausgesprochen. In dem Verfahren sollten die Untiefen des Hasses offengelegt werden, "in denen dieser junge Mann sich im Internet derart radikalisieren konnte", sagte die Präsidentin der Jüdischen Kultusgemeinde München der "Rhein-Neckar-Zeitung" (Dienstag).
Der Grünen-Politiker und Prozessbeobachter, Cem Özdemir, warnte davor, die Tat als Einzelfall abzutun: "Der radikalisiert sich nicht einfach so und unbeobachtet." Es brauche "Mechanismen des Hinschauens, dass man dessen frühzeitig gewahr wird", sagte er dem TV-Sender RTL/ntv.
Unterdessen hofft auch der Vater des bei dem Anschlag getöteten Kevin S., dass der Attentäter zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit Sicherungsverwahrung verurteilt wird. "Ich meine, eine gerechte Strafe gibt es in dem Fall nicht. Aber dieser Mann hat unter freiem Himmel nichts mehr zu suchen", sagte Karsten Lissau als Nebenkläger in der ARD.