Er sagte ihnen aber dies Gleichnis: Es hatte einer einen Feigenbaum, der war gepflanzt in seinem Weinberg, und er kam und suchte Frucht darauf und fand keine. Da sprach er zu dem Weingärtner: Siehe, drei Jahre komme ich und suche Frucht an diesem Feigenbaum und finde keine. So hau ihn ab! Was nimmt er dem Boden die Kraft? Er aber antwortete und sprach zu ihm: Herr, lass ihn noch dies Jahr, bis ich um ihn herum grabe und ihn dünge; vielleicht bringt er doch noch Frucht; wenn aber nicht, so hau ihn ab.
Lukas 13,6–9 (hier vorgelesen von Helge Heynold)
Liebe Hoffnungsträgerinnen und -träger,
man sagt, dass sich in der sogenannten „Lockdown-Zeit“ sehr viele Menschen besonders liebevoll um ihre Gärten gekümmert haben. Das liegt nah, denn wer nicht ausgehen kann, hat genügend Zeit, sich um das zu kümmern, was buchstäblich nahe liegt. Wohnungen kann man aufräumen, Wände kann man streichen. Und wer einen eigenen Garten hatte, konnte sogar in der Natur sein, ohne den eigenen Grund und Boden zu verlassen. Zu der vielen Zeit und den vielen Gelegenheiten, sich um die eigenen Pflanzen zu kümmern, kam die Freude und Befriedigung, etwas wachsen und gedeihen zu sehen. Besonders in einer Zeit, in der der Frühling geradezu gehemmt wurde, weil man lediglich zum Spazieren und Einkaufen vor die Tür ging, war es ein Glück, Pflanzen dabei zuzusehen, wie sie sich nicht um unsere Sorgen und Einschränkungen scherten, sondern eifrig keimten, wuchsen und grünten.
Haben Sie eine Fensterbank, einen Balkon oder einen Garten, denen Sie sich besonders zugewandt haben? Dann wissen Sie, von welchem Glücksgefühl ich hier schreibe, wenn eigenhändig Gesätes aus der Erde hervorlugt, wenn es die ersten Blätter entfaltet und wenn es beginnt zu blühen. Das Magazin „New Yorker“ veröffentlichte kürzlich einen Cartoon, in dem es darum geht, dass nicht Karriere oder Einfluss einem Menschen das Gefühl geben, mächtig zu sein, sondern der Moment, in dem man seine eigenen Tomaten erntet. Da ist etwas dran. Ich weiß, dass ich nicht der Einzige bin, der in diesem Jahr gelernt hat, wie man Tomaten richtig „ausgeizt“. Nun freue ich mich an meinen Tomatenstauden und sehe den Früchten dabei zu, wie sie langsam immer röter werden.
Wie anders ist da der Beginn des Gleichnisses, das ich für diese Woche ausgesucht habe. Jesus erzählt es im Lukasevangelium in einer Reihe von Gleichnissen und anderen Texten, in denen es um das Kommen des Reiches Gottes geht und darum, dass die Zeit drängt, umzukehren und sich auf das Kommen dieses Reiches vorzubereiten. Darum ist auch dieses Gleichnis ganz klar in seinen Worten: Ein Jahr noch, spätestens dann bringt der Baum Frucht, oder er wird umgehauen.
Der Besitzer des Weinberges hat sich anscheinend zunächst an dem Feigenbaum, der zwischen den Reben steht, gefreut. Man kann sich gut vorstellen, wie er über seinen Weinberg spazierte und sich Jahr für Jahr im Vorübergehen Feigen pflückte und sie genoss. Seit drei Jahren trägt der Baum nun aber keine Früchte mehr, also soll der Baum weg, denn – und auch das kann man gut nachvollziehen – „Was nimmt er dem Boden die Kraft?“ Der Weinbergbesitzer handelt vollkommen nachvollziehbar. Der Feigenbaum ist lediglich eine kleine schöne Besonderheit in einem Betrieb, der eigentlich Wein produzieren soll. Wenn er keine Früchte mehr bringt, hemmt er lediglich die Produktion.
Der Gärtner allerdings, dem der Besitzer den Auftrag erteilt, den Baum zu fällen, macht den Vorschlag, sich noch einmal besonders um den Feigenbaum zu kümmern. Vielleicht hat er als Gärtner eine andere Beziehung zu dem Baum, vielleicht weiß er, dass „da noch etwas zu machen“ ist. Auf jeden Fall bittet er um eine weitere Chance für den Baum. Und er tut noch etwas Entscheidendes mehr: Er bietet seine Hilfe an. Der Gärtner sagt nicht einfach: Lass ihm noch ein Jahr Zeit, vielleicht erholt sich der Baum. Er sagt: Ich will um ihn herum graben und ihn düngen. Er engagiert sich, damit der Baum tatsächlich noch eine Chance haben kann. Das ist eine großartige Zuversichtshaltung, finde ich. Der Gärtner meint, dass der Baum wieder Früchte tragen kann, und damit das auch tatsächlich möglich wird, tut er das, was in seiner Kraft steht. Er kann nichts versprechen, denn das Wachstum liegt nicht in seiner Hand, aber er kann eben graben und düngen.
Dieses Gleichnis wurde immer wieder so ausgelegt, dass Jesus sich hier selbst als den Gärtner sieht, der Gott gegenüber für die Menschen eintritt, die nicht sofort bereit sind für das Gute, das Gott ihnen verheißt. Eigentlich mag ich solch allegorische Auslegungen nicht sehr, aber in diesem Fall steckt eine sehr frohe Botschaft in dieser Auslegung: Einen Gott, der nicht allein von mir verlangt, dass ich „Frucht bringe“, sondern der höchstpersönlich Hand anlegt, damit ich das auch schaffe - solch einem Gott vertraue ich mich gern an und versuche nun meinerseits zu tun, was in meiner Macht steht.
Man kann das Gleichnis vom Feigenbaum aber auch lediglich als ein kleines Stück göttlicher Gärtnerweisheit betrachten: Tu, was du kannst, und hoffe, dass es fruchtet! Darum lautet meine Wochenaufgabe für diesmal: Kümmern Sie sich um eine Pflanze, die das besonders braucht! Wenn Sie viele Pflanzen haben, schauen Sie zunächst, welche gerade so aussieht, als wolle sie bald eingehen. Nehmen Sie die! Wenn Sie gar keine einzige Pflanze bei sich haben, kümmern Sie sich um eine draußen vor Ihrer Tür. Ich bin mir sicher, dass Sie eine finden werden, die Ihr Engagement brauchen kann. Bleiben Sie zuversichtlich, dass es etwas nützt, wenn Sie sich engagieren!
Eine gute Sommerwoche wünsche ich!
Ihr Frank Muchlinsky