EU-Chefs wollen Weichen für Wiederaufbau stellen
Gipfel in Brüssel zu Corona-Bewältigung und Haushaltsrahmen
Zwei Premieren auf einmal: Das erste "physische" Gipfeltreffen des EU-Spitzenpersonals nach vielen Videokonferenzen in der Coronakrise, und das erste in der aktuellen deutschen EU-Ratspräsidentschaft. Die Erwartungen sind hoch.
16.07.2020
epd
Von Phillipp Saure (epd)

Brüssel (epd). Die EU-Staats- und Regierungschefs treffen sich am Freitag zu einem zweitägigen Gipfel in Brüssel, um die Weichen für den wirtschaftlichen Wiederaufbau nach der Coronakrise und den langfristigen Haushalt zu stellen. Beim ersten Gipfel im Zuge der deutschen EU-Ratspräsidentschaft geht es um ein gut 1,8 Billionen Euro schweres Finanzpaket. Ob bis Samstag ein Ergebnis vorliegt, ist offen.

EU-Ratspräsident Charles Michel hat die Chefs der 27 EU-Länder zum ersten physischen Zusammentreffen seit Beginn der Pandemie in Europa zusammengerufen. Eine besondere Verantwortung trägt Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), da Deutschland am 1. Juli für sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft übernommen hat. Der Zeitdruck ist hoch.

Der aktuelle EU-Haushaltsrahmen ("Mittelfristiger Finanzrahmen" - MFR) endet am 31. Dezember, dann beginnt der neue und bis 2027 reichende MFR. Bereits seit Mitte 2018 hatten die EU-Länder über diesen verhandelt, denn viele Programme und Projekte brauchen einen Vorlauf, um pünktlich starten zu können. Die Corona-Krise verzögerte einen Abschluss des MFR und machte durch die wirtschaftlichen Turbulenzen zusätzliche Investitionen nötig. Zudem kann der Gipfel die Weichen stellen - doch die Beschlüsse fällen müssen später der EU-Ministerrat und das Europaparlament.

Der Vorschlag von Ratspräsident Michel sieht eine Gesamtsumme von 1,824 Billionen Euro in Preisen von 2018 vor, 1,074 Billionen Euro im MFR und 750 Milliarden Euro im Corona-Wiederaufbaufonds ("Next Generation EU"). Davon würden zum Beispiel knapp 350 Milliarden Euro in die Landwirtschaftspolitik fließen und knapp 22 Milliarden Euro in den Bereich Migration und Grenzmanagement. Gut 86 Milliarden Euro sind für ein außenpolitisches Instrument vorgesehen, das vor allem Entwicklungsländern zugutekäme.

Verhandelt und gestritten wird im Vorfeld aber nicht nur über die Summen. Es geht besonders mit Blick auf den Wiederaufbaufonds auch um die Art der Finanzierung. Die normalen MFR-Mittel werden ausgegeben und nicht zurückgezahlt. Bei den Mitteln für den Wiederaufbaufonds sind 250 Milliarden Euro als Darlehen vorgesehen, aber mit 500 Milliarden Euro der Großteil wiederum als nicht rückzahlbarer Zuschuss. Mehrere Regierungen, darunter die Österreichs und der Niederlande, haben sich diesen Zuschüssen gegenüber skeptisch gezeigt.

Unterdessen warnte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) vor einem Scheitern des Gipfels. "Allen muss klar sein: Kein Land wird alleine gut aus der Krise kommen, wenn die Nachbarn in der Rezession steckenbleiben", sagte Maas den Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe (Donnerstag). Zugleich sei es bei Ausgaben in der diskutierten Größenordnung nur vernünftig, "auch darauf zu achten, welche Länder einen Teil des Wegs auch aus eigener Kraft schaffen können".

Der CSU-Finanzexperte Markus Ferber warnte: „Die Staats- und Regierungschefs sollten sich davor hüten, mit dem Argument des Wiederaufbaufonds den mehrjährigen Finanzrahmen zusammenzustreichen. Wenn das geschieht, machen wir die EU langfristig zum Krüppel", erklärte der Europaabgeordnete.

Die Entwicklungshilfeorganisation ONE kritisierte, die von Michel geplanten Summe für das auswärtige Instrument im MFR sei zu niedrig. Kanzlerin Merkel solle sich "dafür einsetzen, dass die EU finanziell gut ausgerüstet ist, um drängende globale Herausforderungen anzugehen". Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) forderte, 40 Prozent der Gelder müssten in Klimaschutz und zehn Prozent in Naturschutz fließen, nur so gelinge ein grüner Wiederaufschwung.