Kriminalpsychologe: Abfragen des Migrationshintergrunds bringt nichts
13.07.2020
epd
epd-Gespräch: Frank Leth

Hannover (epd). Ermittlungen zum Migrationshintergrund von Tatverdächtigen wie in Stuttgart taugen aus Sicht des Kriminalpsychologen Thomas Bliesener nicht zur Prävention. "Den Migrationshintergrund der Eltern bei den Standesämtern abfragen, bringt da nichts", sagte der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen in Hannover am Montag dem Evangelischen Pressedienst (epd). Für eine polizeiliche Präventionsarbeit müsse im jeweiligen Einzelfall vielmehr auf die Motive von Straftätern und nicht auf die Herkunft geachtet werden.

Der Stuttgarter Polizeipräsident Franz Lutz war in der Kritik geraten, weil er nach den Ausschreitungen in der Stuttgarter Innenstadt am Wochenende des 20. und 21. Juni in Einzelfällen bei Standesämtern den möglichen Migrationshintergrund von Tatverdächtigen abfragen ließ. Den in Medien geäußerten Vorwurf einer durchgeführten "Stammbaumforschung" wies Lutz zurück.

Vielmehr diene die Abfrage dazu, die persönlichen Umstände der meist jugendlichen und heranwachsenden Tatverdächtigen festzustellen, erklärte der Polizeipräsident. Mit diesem Wissen könne eine erfolgreiche Präventionsarbeit längerfristig gewährleistet werden. Die "strafrechtliche Aufarbeitung und eine mögliche spätere justizielle Sanktionierung" bedürfe der Einbeziehung aller persönlichen Umstände der Tatverdächtigen, argumentierte die Polizei.

Bliesener betonte jedoch, "die Abfrage der Herkunft und des Migrationshintergrundes der Eltern erklärt erst einmal nichts". Damit polizeiliche Präventionsmaßnahmen wirken können, müsse vielmehr auf die Motivation von Straftätern und die konkreten Lebensumstände geschaut werden und nicht darauf, welchen Pass die Täter oder ihre Eltern hätten. So spiele beispielsweise bei Flüchtlingen deren Bleibeperspektive in Deutschland eine Rolle dafür, ob sie strafrechtlich eher in Erscheinung treten, und nicht die Frage, woher sie stammen.

Es gebe aber auch Personengruppen mit äußeren Merkmalen, die sich strafrechtlich auffälliger verhalten, erklärte der Psychologe: "Das sind etwa junge Männer". Auch Faktoren wie beengte Wohnverhältnisse, der Umgang innerhalb der Familie und die Reaktion von Angehörigen auf Straftaten könnten für die polizeiliche Präventionsarbeit eine wichtige Rolle spielen.