Das Jugendhaus im Aschaffenburger Jugend- und Kulturzentrum (Jukuz) ist Toms Heimat. Hier findet er Anerkennung. Und immer jemanden zum Reden. Dass vor ein paar Jahren immer mehr junge Flüchtlinge ins Jukuz kamen, hat Tom (Name geändert) ziemlich genervt. "Die nehmen uns unsere Ausbildungsplätze weg", maulte der damals 17-Jährige, der zu jener Zeit vergeblich nach einer Lehrstelle suchte. Dann lernte Tom einige der Flüchtlinge näher kennen, erfuhr ihre Geschichten und begann umzudenken.
Dem Team des Jukuz ist Toms neue Haltung aufgefallen und die Gefahr, dass er nach rechts abdriften könnte. "Wir haben einfach mit Tom geredet", sagt Jukuz-Leiter Jimmy Roth. Und man hat Tom Erfahrungen machen lassen: Er engagierte sich im Thekendienst des Jugendhauses. Er lehnte die jungen Geflüchteten zwar anfangs ab, aber er bediente sie. Dadurch kam er mit ihnen in Kontakt. Seine ausländerfeindliche Gesinnung blieb letztlich eine Episode.
Toms Beispiel zeigt dem Erziehungswissenschaftler Frank Greuel vom Deutschen Jugendinstitut in München, wie unersetzbar Jugendarbeit ist. In Jugendzentren und Jugendgruppen sieht der Fachmann die wichtigste Präventionsmöglichkeit gegen Rechtsextremismus: "Doch leider wird Jugendarbeit inzwischen nicht mehr flächendeckend finanziert." Gerade in Ostdeutschland gebe es mehrere Städte, in denen kein einziges Jugendzentrum mehr existiert.
140 Anfragen von Ausstiegswilligen
Wo zu wenig Geld in Jugendarbeit fließt, haben Rechtsextremisten laut Greuel leichtes Spiel. Diese Szene könne für Jugendliche, die nach einfachen Mustern zur Erklärung der Welt suchen, "hochattraktiv" sein, sagt er. Auch sei es leicht, in diese Kreise hineinzukommen: "Das geht relativ vorbehaltlos." Zumindest dann, wenn man bestimmten Vorstellungen entspricht. Wobei es in den meisten Fällen schlicht genüge, Deutsch zu sein.
Auf rechtsextreme Meinungsäußerungen müsse sofort reagiert werden, sagt Roman Jeltsch, Berater bei "response", einer Anlaufstelle für Betroffene von rechter Gewalt der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank. Dies geschehe jedoch oft nicht: "Häufig berichten uns Betroffene rechter Gewalt davon, dass sie Sätze wie 'Sei doch nicht so empfindlich!' oder 'Du musst doch etwas getan haben, dass dein Gegenüber so aggressiv war!' zu hören bekommen." 2019 beriet "response" Jugendliche mehr als 130 Mal. Bei den Beratungen ging es laut Jeltsch um Beleidigungen, Mobbing in der Schule bis hin zu versuchten Tötungsdelikten.
Jugendliche müssen Orte haben, wo sie aufgefangen werden, wenn sie sich in eine bedenkliche Richtung entwickeln, unterstreicht auch Sven Forkert, Geschäftsführer des Landespräventionsrats im Freistaat Sachsen. "Spezialprogramme sind immer nur eine Ergänzung", sagt er. Bei dem Programm gingen seit seinem Start im Jahr 2011 rund 140 Anfragen von Ausstiegswilligen ein. Über 100 Fälle wurden bisher bearbeitet.
"Die Radikalisierung erfolgt oft online"
In Bayern setzt sich Nicola Hieke für eine frühe Intervention bei ersten Anzeichen von Hass, Populismus oder Extremismus ein. Die Sozialpädagogin leitet die Landeskoordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus. Der Einstieg in die Gedankenwelt von Rechtsextremen sei für Teenager heute leichter denn je. "Die Radikalisierung erfolgt oft online", sagt Hieke. Einen großen Einfluss haben nach ihren Erkenntnissen antisemitische und rassistische Verschwörungsideologien, die in den sozialen Medien weit verbreitet sind.
Die Hoffnung "Das wächst sich schon aus" sei im Falle von beginnendem Extremismus nach den Erfahrungen ihrer 2007 gegründeten Einrichtung eine trügerische, warnt Hieke. Werde nicht rechtzeitig gegengesteuert, sei es schwer, die Jugendlichen wieder aus der Szene herauszuholen.