Mojib Latif: Klimaschutz bedeutet Lebensqualität
02.07.2020
epd
epd-Gespräch: Klaus Merhof

Kiel (epd). Für den Kieler Klimaforscher Mojib Latif ist es beim Kampf gegen den Klimawandel bereits "fünf nach zwölf". Die Menschheit befinde sich "auf Kollisionskurs mit dem Planeten", sagte der Wissenschaftler dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dennoch sieht er eine Chance, den Kollaps abzuwenden.

Der Klimawandel sei "keine Frage mehr, sondern Fakt", schreibt der 65-jährige Experte vom Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in seinem neuen Buch "Heißzeit - Mit Vollgas in die Klimakatastrophe". Wenig optimistisch ist er mit Blick auf den Erfolg von Weltklimakonferenzen. Stattdessen müsse eine "Allianz der Willigen" vorangehen und "zeigen, dass es geht".

Deutschland habe den CO2-Ausstoß seit 1990 um fast 40 Prozent gesenkt, global sei er dagegen um 60 Prozent gestiegen. "Wir müssen vormachen, dass die Energiewende gelingen kann", forderte Latif. Öffentlicher Druck sei hierbei wichtig, wie "Fridays for Future" gezeigt habe.

Ein wirksamer Klimaschutz werde vor allem durch Ignoranz, Egoismus und ungezügelte Profitgier verhindert, sagte der Kieler Forscher. Die Probleme würden verdrängt oder nationalen Interessen untergeordnet. Zugleich seien multinationale Konzerne "berauscht von dem unheilvollen Gedanken ewigen Wachstums". Ohne entscheidende Korrekturen werde die Weltwirtschaft in ihrer gegenwärtigen Form die Menschheit in den Abgrund reißen.

Die Art und Weise, wie die Menschheit auf der Erde lebt, sei nicht nachhaltig, sagte Latif: "Die Wegwerfgesellschaft ist nicht zukunftsfähig." Ohne eine gesunde Umwelt und ein intaktes Klima könne es keine florierende Wirtschaft geben. Doch die Zusammenhänge zwischen Klima, Umwelt, Wirtschaft, Gesundheit, Gerechtigkeit und Sicherheit seien entweder zu wenig bewusst - oder sie würden verdrängt.

Nötig sei ein Bewusstseinswandel, der den Klimaschutz vor allem nicht mehr als Verzicht versteht. "Klimaschutz bedeutet Lebensqualität und Gesundheit", sagte Latif. Luft und Wasser würden klarer, die Meere sauberer, die Städte grüner. Wenn Ressourcen geschont und Tiere nicht gequält werden, nehme auch die Gerechtigkeit zu. "Es gibt keinen Zwang zum Autofahren - Kurzstrecken kann man auch mit dem Fahrrad oder zu Fuß erledigen." Klimaschutz sei "cool" und könne "Spaß machen".

"Wir müssen positive Geschichten erzählen", forderte Latif. Aus Ideen und Pilotprojekten müssten marktreife Konzepte werden, zum Beispiel in der dezentralen Energieversorgung. Möglich seien Fassaden als Kraftwerke, also Hausanstriche, die Sonnenenergie zur Stromerzeugung nutzen. Oder das Anzapfen der Luftfeuchtigkeit zur Stromgewinnung. Technisch sei dies "kein Problem und innerhalb weniger Jahrzehnte umsetzbar".

Die Corona-Krise habe gezeigt, dass sogar Geld genug da ist. "Es gibt keine Grenzen für die menschliche Innovationskraft", sagte Latif. "Wenn wir jetzt rasch und konsequent handeln, haben wir die Chance, mit einem blauen Auge davonzukommen."