Celle, Witten (epd). Nach mutmaßlichen Misshandlungen von Bewohnern eines Pflegeheimes in Celle hat der Psychiater Karl Beine bessere Kontrollen angemahnt. "Wenn die Akten in Ordnung sind, dann heißt das noch lange nicht, dass die Versorgung gut ist", sagte der emeritierte Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Witten-Herdecke dem Evangelischen Pressedienst (epd). "Die Kontrolleure müssen viel mehr mit den Bewohnern, den Angehörigen und den Heimbeiräten reden, häufiger und überraschender kommen."
In dem Heim haben offenbar drei mittlerweile entlassene Mitarbeiter Bewohner ganze Nächte lang so fixiert, dass sie sich nicht bewegen konnten. Einem beinamputierten Mann sei Hilfe beim Toilettengang verweigert worden. Bilder von den Misshandlungen waren unter anderen der "Süddeutschen Zeitung" zugespielt worden. Es gebe frühe Anzeichen, sagte Beine, der sich mit Forschungen zu Gewalt in der Pflege und Patienten-Morden einen Namen gemacht hat. Dazu zählten eine verrohte, besonders zynische und abwertende Sprache, Persönlichkeitsveränderungen, Beschimpfungen oder sporadische Tätlichkeiten.
"Dann muss der Einzelne das couragiert ansprechen, intern, bei Kolleginnen und Kollegen und der Leitung", betonte der Psychiater. "Zur Not auch beim medizinischen Dienst der Kassen, der Heimaufsicht oder gar bei der Polizei. Schweigen und wegsehen ist im Zweifel viel problematischer als sich den eventuellen Zorn von Kollegen oder Vorgesetzten zuzuziehen." Zugleich müssten Whistleblower, die auf Missstände in eigenen Reihen aufmerksam machen, besser geschützt werden und verlässliche Anlaufstellen haben.
Die Pflegeberufe seien über Jahrzehnte entwertet worden, kritisierte Beine: "Die Mitarbeitenden wurden behandelt wie aus dem Ruder gelaufene Sachkosten." Bis heute gebe es keinen gültigen Tarifvertrag für alle Pflegekräfte in Altenheimen. In der Corona-Krise habe sich die Situation für Bewohner von Pflegeheime und deren Helfer noch einmal drastisch verschlechtert. "Natürlich muss niemand wegen widriger Umstände zum Täter werden", sagte er. "Aber es gibt Verhältnisse, die solche Taten begünstigen."
Permanenter Stress, Hetze und fehlende Zeit für Zuwendung, Beobachtung und kollegialen Austausch machten fehleranfällig, erklärte Beine. "Wer in der Nacht von Flur zu Flur hetzt, weil aus drei Zimmern gleichzeitig um Hilfe gerufen wird, der kann das nicht schaffen", sagte er. "Das macht hilflos und verzweifelt. Einige von uns reagieren aggressiv, wenn sie verzweifelt sind." Wenn dann persönliche Probleme hinzukämen und das Umfeld schweige, könne es gefährlich werden.