Berlin (epd). Ab Mittwoch gilt in Deutschland eine geringere Mehrwertsteuer. Der Bundesrat billigte am Montag in Berlin ein zweites Corona-Steuerhilfegesetz, das der Bundestag wenige Stunden zuvor in einer Sondersitzung verabschiedet hatte. Demnach soll der volle Steuersatz vom 1. Juli an bis Ende des Jahres 16 Prozent statt 19 Prozent betragen und der ermäßigte Satz für viele Alltagsprodukte fünf Prozent statt sieben Prozent.
Familien erhalten zudem einen Kinderbonus: Für jedes Kind bekommen sie 300 Euro - ausgezahlt werden zunächst im September 200 Euro und schließlich im Oktober weitere 100 Euro. Von der Finanzspritze profitieren auch bedürftige Familien, da der Bonus nicht auf Sozialleistungen angerechnet wird. Gutverdiener müssen ihn wiederum versteuern.
Diese Maßnahmen sind Teil des Corona-Konjunkturpakets, dessen Ziel es ist, die Menschen im Land schnellstmöglich wieder zum Konsum zu animieren. Die Bundesregierung hofft, dass so die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie abgemildert werden können. Kommunen, denen dramatische Steuerausfälle bevorstehen, erhalten zudem Milliardenhilfen für Investitionen in Nahverkehr, Kinderbetreuung und Kultur. Am Donnerstag will der Bundestag über weitere Krisenbewältigungsmaßnahmen wie Überbrückungshilfen für Unternehmen abstimmen.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sprach von einem "Kraftpaket". Mit 130 Milliarden Euro sei es "das größte Konjunkturpaket in der deutschen Geschichte", erklärte er. Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) sagte im Bundesrat, die Pandemie habe bestehende Probleme wie in einem Brennglas deutlich gemacht und sie noch verschärft. Er wies auf den wirtschaftlichen Einbruch der Luftfahrtbranche hin, der Hessen zu schaffen mache. Die aktuelle Krise mache es notwendig, dass der Staat eingreife. Zugleich betonte er: "Diese Anstrengung wird uns viele Jahre begleiten." Sie werde "schwierige Entscheidungen für die Zukunft" nach sich ziehen.
Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) drückte ebenfalls seine Unterstützung für die konjunkturellen Maßnahmen aus. Wie seine Vorredner und Amtskollegen Stephan Weil (SPD, Niedersachsen) und Tobias Hans (CDU, Saarland) sprach er zudem über die Probleme der Automobilindustrie. Er habe die Sorge, dass der Abstand zwischen Ost und West sich in der Corona-Krise vergrößere. Thüringen sei ein großes Zuliefererland für die Automobilindustrie und oft nur "verlängerte Werkbank" von Firmen mit Sitz in Westdeutschland. Die Hilfen dürften nicht an diesen Betrieben vorbeigehen.
Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) sagte, es sei richtig, dass der Staat die "industriellen Kerne" des Landes - die Automobilindustrie, die Luftfahrt und Werften - rette und sichere. Es gehe darum, die tausendfachen oftmals gut bezahlten Arbeitsplätze zu sichern. Zugleich warnte sie davor, bei den Hygiene- und Schutzmaßnahmen gegen das Virus nachzulassen. Das Coronavirus bleibe "Staatsfeind Nummer eins".
Jugendaktivisten sehen hingegen ihre Zukunft und die kommender Generationen durch die Corona-Pakete bedroht. Der Sprecher des Jugendrats der Generationen Stiftung, Elia Mula, kritisierte "falsche Investitionen" etwa mit der Prämie für E-Autos und forderte einen "Generationenrettungsschirm". Es müsse dringend mehr Geld in soziale Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit fließen, betonte er. "Sonst ist es leider zu spät."
Der Paritätische Wohlfahrtsverband bezeichnete das Konjunkturpaket als "armutspolitisch ignorant" und forderte finanzielle Hilfen auch für arme Menschen ohne Kinder. Nach Berechnungen des Verbands hätte ein Single, der Hartz IV oder Altersgrundsicherung bezieht, durch die beschlossenen Regelungen gerade einmal 8,20 Euro im Monat mehr an Kaufkraft - vorausgesetzt die Unternehmen geben die Mehrwertsteuerabsenkung vollständig an die Kunden weiter.
epd mey