Genitalverstümmelung: "Es gibt kein Wort für diesen Schmerz"
Die traditionelle Beschneidung oder deutlicher: Verstümmelung weiblicher Genitalien gehört zu den schwersten Menschenrechtsverletzungen und wird weltweit bekämpft, auch in Deutschland. Ministerin Giffey stellte neue Zahlen vor - und eine Kämpferin.
25.06.2020
epd
Von Bettina Markmeyer (epd)

Berlin (epd). Die gebürtige Somalierin Fadumo Korn weiß um die Wirkung ihrer Worte, wenn sie ihre eigene Beschneidung schildert. Korn ist Vorsitzende des Vereins "Nala - Bildung statt Beschneidung" und überreichte Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) am Donnerstag in Berlin eine Petition mit 125.000 Unterschriften zur Bekämpfung der genitalen Verstümmelung. Das Problem ist nicht klein, Giffey präsentierte die Zahlen.

Die Zahl der Frauen in Deutschland, deren Genitalien verstümmelt wurden, ist in den vergangenen drei Jahren auf knapp 68.000 gestiegen. Giffey begründete den starken Anstieg um 44 Prozent damit, dass mehr Frauen aus Ländern zuwandern, in denen die genitale Verstümmelung weiter praktiziert wird. Dazu zählen Eritrea, Somalia, Indonesien, Nigeria und Ägypten. Es werde aber auch genauer hingeschaut, sagte die Ministerin. Im Jahr 2017 ging man noch von 44.000 verstümmelten Frauen aus.

Fadumo Korn, die seit 40 Jahren in Deutschland lebt, ist eine von ihnen. In der Steppe Somalias, festgehalten von zwei Frauen und ohne Betäubung wurde sie, als sie sieben Jahre alt war, ihrer Weiblichkeit beraubt, sagt sie. Ohne medizinische Versorgung, zeitweilig im Koma und gegen alle Wahrscheinlichkeit habe sie überlebt: "Es gibt kein Wort, das diesen Schmerz beschreiben kann. Eine Frau nimmt die Klitoris in die Hand, nimmt eine Rasierklinge und schabt sie bis zu den Knochen herunter."

Die traditionelle Beschneidung, die als "Reinigung" von der gefährlichen Klitoris oder Ritual an der Schwelle zum Frausein praktiziert wird, zählt zu den schwersten Menschenrechtsverletzungen. Mädchen und jungen Frauen wird die Klitoris weggeschnitten, oft auch die kleinen Schamlippen. Weltweit sind der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge rund 200 Millionen Frauen auf diese Weise verstümmelt. Jedes Jahr werden weitere zwei bis drei Millionen Mädchen Opfer dieser Gewalt. Die Frauen tragen lebenslange, häufig sehr schwere Behinderungen davon.

Fadumo Korn sagt, ihre eigene Behinderung habe sie vor die Wahl gestellt: zu leiden oder zu kämpfen. Frauen wie sie, die die Traditionen kennen und den direkten Zugang zu Einwanderern haben, die ihre Töchter beschneiden lassen wollen, könnten tatsächlich Verhaltensänderungen bewirken, sagt sie. Korns Verein fordert auf seiner Website aber auch alle anderen auf, Anzeichen für eine bevorstehende Beschneidung der Polizei und dem Jugendamt zu melden und "sich nicht von Gedanken an 'Tradition', 'Kultur', 'Religion' oder aus Angst davor, als 'rassistisch' zu gelten, abhalten zu lassen".

In Deutschland ist Giffey zufolge die Bedrohungslage nur schwer zu einzuschätzen, weshalb die Spanne zwischen 2.800 und fast 15.000 gefährdeten Mädchen liegt. Die geringere Zahl ergibt sich, wenn in der zweiten Einwanderergeneration keine genitalen Verstümmelungen mehr vorkämen, die höhere, wenn hier geborene Mädchen weiter als bedroht angesehen werden müssen.

Genitalverstümmelung ist eine Straftat, die aus Deutschland auch dann verfolgt wird, wenn sie im Ausland geschieht. Zu Verurteilungen kommt es aber kaum. Die Zahlen bewegten sich Giffey zufolge in den Jahren von 2016 bis 2018 jeweils im einstelligen Bereich.

Giffey sagte, zur Abwendung weiterer Fälle sei es ihr besonders wichtig, mit Nichtregierungsorganisationen zusammenzuarbeiten, da diese es schafften, "Aufklärung und präventive Maßnahmen in die jeweiligen Communities hineinzubringen". Sie stellte in Aussicht, dass Organisationen wie "Nala", die sich bisher allein aus Spenden finanzieren, besser unterstützt werden. Die in Deutschland arbeitenden Vereine haben sich im "Netzwerk zur Überwindung weiblicher Genitalverstümmelung 'Integra'" zusammengeschlossen.