Berlin (epd). Anlässlich der bevorstehenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft hat Amnesty International zur Stärkung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit innerhalb und außerhalb Europas aufgerufen. Insbesondere bei der Bewältigung der weltweiten Corona-Krise müssten internationale Menschenrechtsverpflichtungen eingehalten werden. "Denn es handelt sich um eine Gesundheitskrise und eine Wirtschaftskrise - aber auch um eine Menschenrechtskrise", sagte der Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland, Markus N. Beeko, am Donnerstag in Berlin.
Der Bundesregierung biete sich im zweiten Halbjahr 2020 die Chance, dass alle Maßnahmen zur Bewältigung der Covid-19-Pandemie im Einklang mit internationalen Menschenrechtsverpflichtungen entwickelt werden. Die Eindämmungsmaßnahmen müssten "verhältnismäßig, befristet und notwendig sein", erklärte Amnesty. Sie dürften Menschen nicht diskriminieren. Besonders schutzbedürftige Personengruppen benötigten dabei besondere Aufmerksamkeit und Unterstützung. Zudem dürften Notstandsregelungen nicht für die Unterdrückung unangenehmer Informationen oder zur Bekämpfung von Menschenrechtsverteidigern missbraucht werden.
Ebenso müsse während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft darauf geachtet werden, soziale Ungleichheiten abzufedern, auch die Wirtschaft dabei in die Pflicht zu nehmen und den Klimaschutz zu stärken, sagte Beeko weiter. Deutschland solle sich zudem für eine Stärkung des Multilateralismus einsetzen, "denn es gibt aktuell nur wenige Staaten, die auf die Stärkung des Rechts und nicht auf das Recht des Stärkeren hinarbeiten", sagte der deutsche Amnesty-Generalsekretär.
Die Europa-Expertin bei Amnesty International in Deutschland, Janine Uhlmannsiek, betonte, entscheidend sei, dass die EU eine kohärente und konsequente Menschenrechtspolitik nach innen wie nach außen vertrete. So gebe es in Ungarn und Polen "einen erschreckenden Abwärtstrend im Bereich Rechtsstaatlichkeit". Angriffen auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit innerhalb der EU müsse konsequent entgegengetreten werden.
Die Bundesregierung sollte dafür alle in der EU verfügbaren Instrumente nutzen. So müsse sie die aktuellen Rechtsstaatlichkeitsverfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags entscheidend voranbringen und sich dafür einsetzen, "dass konkrete Empfehlungen an die Behörden in Ungarn und Polen ausgesprochen werden", sagte Uhlmannsiek. Die bisherigen Schritte hätten nicht ausgereicht, den Abbau von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten in der EU zu stoppen.
Zudem sei eine kohärente Menschenrechtspolitik etwa mit China nötig. So sollte die deutsche EU-Ratspräsidentschaft auch die Pläne "über das verheerende Sicherheitsgesetz für Hongkong in den Blick nehmen und sich diesen entschieden entgegenstellen", erklärte Theresa Bergmann, Asien-Expertin bei Amnesty.
Nötig sei auch mehr Engagement für die Verbesserung der Menschenrechtssituation in der autonomen Provinz Xinjiang, wo rund eine Million Uiguren und Angehörige anderer vorwiegend muslimischer Minderheiten unrechtsmäßig in "Umerziehungslagern" inhaftiert seien. Der deutsche Ratsvorsitz in der Europäischen Union beginnt am 1. Juli und läuft bis zum Ende des Jahres 2020.