Düsseldorf (epd). Nach dem Corona-Ausbruch beim Fleischproduzenten Tönnies fordert der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) weitreichende Änderungen in der Branche. Das System der industriellen Schlachtung und der Arbeitsverhältnisse, die dort herrschten, könne keine Zukunft haben, sagte Laumann am Mittwoch in einer Aktuellen Stunde des Düsseldorfer Landtages zum Thema. Die SPD warf Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) vor, dem "Diktat der Bosse der Fleischindustrie unreflektiert und unbesonnen gefolgt" zu sein.
Beim Fleischfabrikanten Tönnies im westfälischen Rheda-Wiedenbrück waren bis Dienstagnachmittag mehr als 1.500 Mitarbeiter positiv auf das Corona-Virus getestet worden. Der zuständige Kreis Gütersloh hatte die Beschäftigten und das Management per Verordnung unter Quarantäne gestellt. Die nordrhein-westfälische Landesregierung hatte am Dienstag für die Kreise Gütersloh und Warendorf Einschränkungen des öffentlichen Lebens mit Kontaktverboten und der Schließung von Bars sowie Kultur- und Sporteinrichtungen bis zum 30. Juni verhängt.
Laumann erklärte, dass für bundesweite Veränderungen entsprechende neue gesetzliche Regelungen erforderlich seien. "Dieses System ist schlecht und hat mit einer humanen Arbeitswelt nichts zu tun", betonte er. Laumann machte deutlich, dass die Etablierung industrialisierter Schlachtung Folge des in den 1970er Jahren begonnenen Verschwindens von mittelständisch geprägten Schlachthof-Strukturen gewesen sei. Diese Entwicklung sei auch mit Blick auf die damit verloren gegangene regionale Vermarktung von Tieren ein Fehler gewesen.
Der Gesundheitsminister verteidigte zugleich die Reaktion der Landesregierung auf den regionalen Corona-Ausbruch gegen Kritik. Es gebe weitläufige Corona-Tests in der Region, um festzustellen, ob das Virus auf die Bevölkerung übergesprungen sei. Am Wochenende werde man dazu mehr wissen.
Die SPD kritisierte die Landesregierung. Dass Ministerpräsident Laschet einseitig den Leiharbeitern aus Osteuropa die Schuld für die Masseninfektion im Schlachtbetrieb in Rheda-Wiedenbrück gegeben habe, sei "eine Unverschämtheit", sagte die SPD-Abgeordnete Lisa-Kristin Kapteinat.
Auch Umwelt- und Landwirtschaftsministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) plädierte für einen "echten Neuanfang" bei der Fleischproduktion, der von Landwirten und Verbrauchern mitgetragen werden müsse. "Die Arbeitsbedingungen in den Schlachthöfen sind unmöglich und nicht so, wie wir sie in Deutschland erwarten würden", sagte sie.
Veränderungen in der Fleischindustrie forderten auch der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sowie Greenpeace. Der BUND schlug eine Sonderabgabe auf Fleischprodukte von 40 Cent pro Kilogramm vor, um Verbesserungen in der Wertschöpfungskette zu erzielen. Greenpeace-Landwirtschaftsexperte Martin Hofstetter erklärte, dass die Fleischindustrie "jeden Tag unser aller Gesundheit" gefährde. So führe auch der massive Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung dazu, dass überlebenswichtige Medikamente bei immer mehr Menschen nicht mehr wirkten.