Bremen, Göttingen (epd). Soziale Investitionen in Großwohnanlagen mit vielen Mietern auf engem Raum können sich nach Ansicht des Bremer Sozialexperten Joachim Barloschky auch als Corona-Vorsorge rentieren. Mit Projekten zur Integration und zur Teilhabe wie im ehemals bundesweit bekannten "Demonstrativbauvorhaben" Bremen-Tenever "kann der Zusammenhalt und das Verantwortungsbewusstsein der Bewohner untereinander erheblich gestärkt werden", sagte Barloschky dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Derzeit sind zwei Wohntürme in Göttingen in den Schlagzeilen, weil sich dort unter prekären Verhältnissen hundertfach Corona-Infektionen verbreitet haben. Am Samstag hatte es aufgrund einer Quarantäne-Abriegelung vor einem Komplex an der Groner Landstraße Auseinandersetzungen zwischen Bewohnern und der Polizei gegeben. Die genauen Gründe für die Corona-Massenausbrüche dort kenne er nicht, sagte Barloschky, bekräftigte aber: "Wenn es ein soziales Netzwerk gibt, lässt sich schneller und nachhaltiger informieren, aufklären und Hilfe organisieren."
Barloschky, Lehrbeauftragter an der Hochschule Bremen für Gemeinwesenarbeit, war zunächst Mieter und dann mehr als 20 Jahre Quartiersmanager in Tenever. Das Bauprojekt mit mehreren tausend Wohnungen - im Volksmund "Klein-Manhattan" genannt - entstand in den 1970er Jahren. Zu dieser Zeit wurde auch das Iduna-Zentrum in Göttingen gebaut, einer der beiden Komplexe, die nun als Corona-Hotspot in der südniedersächsischen Stadt bundesweit Bekanntheit errangen.
In Tenever seien zwar viele Wohnungen entstanden, aber an eine soziale Infrastruktur hätten die Planer nicht gedacht, blickte Barloschky zurück. "Außerdem gab es einfach zu viele Menschen auf zu engem Raum." Im Quartier seien überdies immer mehr Migranten und einkommensarme Menschen untergebracht worden. Leerstände und prekäre Wohnverhältnisse hätten sich weiter zugespitzt, als dann Einzeleigentümer und Finanzinvestoren Blöcke übernommen hätten.
"Die Lage wurde besser, als das städtische Wohnungsbauunternehmen Gewoba einstieg und Schrottimmobilien abgerissen wurden", erinnerte Barloschky, der sich auch Sprecher des Bremer Aktionsbündnisses "Menschenrecht auf Wohnen" engagiert. Als Quartiersmanager habe er zusammen mit den Mietern für Licht, Luft und Grün gestritten, Verbesserungen in der Schul-, Spielplatz- und Kita-Infrastruktur erkämpft, Bewohnertreffs gegründet und Teilhabe organisiert.
"Ich bin mir sicher: Den Zusammenhalt und Beteiligung stärken, miteinander und nicht nebeneinander leben, das ist das A und O für mehr Lebens- und Wohnqualität in Anlagen wie in Bremen oder Göttingen", betonte Barloschky. Dafür müsse auch Geld in die Hand genommen werden. Möglicherweise bleibe die bauliche Situation solcher Projekte auch nach einem Stadtumbau wie in Tenever in Teilen schwierig. "Aber ein Quartiersmanagement, ein Kümmerer, der mit dem Quartier fiebert, das lohnt sich für alle und unterstützt menschenwürdiges Wohnen."